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Der Garten der Avantgarde Heinrich Kirchhoff:
Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde ...

27 Okt 2017 — 25 Feb 2018

Genau 100 Jahre nachdem der Privatier und Kunstsammler Heinrich Kirchhoff seine bedeutende Sammlung mit Werken der Avantgarde erstmals im Museum Wiesbaden gezeigt hatte, wird diese nun am selben Ort wieder zusammengeführt. Kirchhoff (1874–1934) ließ sich zur Jahreswende 1908/09 in der Kurstadt Wiesbaden nieder mit dem Wunsch, sich dort seinen Leidenschaften Kunst und Natur zu widmen. Hier stellte er innerhalb weniger Jahre eine Kollektion zusammen, die hochwertige Arbeiten der Künstler wie Paul Klee, Emil Nolde und Franz Marc vereinte. Auf seine Einladung hin kam auch Alexej von Jawlensky nach Wiesbaden und ließ sich hier bis an sein Lebensende nieder. Die Villa von Kirchhoff in der Beethovenstraße 10 bot mit ihrem außergewöhnlichen Garten, den der Hausherr selbst angelegt hatte, ein paradiesisches Idyll. Botanik-Freunde und Kunstinteressierte waren gleichermaßen magisch angezogen. Kirchhoff beabsichtigte schon früh, seine Sammlungen für alle Bürger zu öffnen und mit ihr als beispielhaftem Lehrstück die Kurstadt zu einem Zentrum der künstlerischen Moderne werden zu lassen.

Der Garten der Avantgarde — Kunst und Natur

„Soeben aus dem Garten zurückgekehrt, muss ich gestehen, dass von ihm ein seltener Reiz und Zauber ausgeht. Eigentlich gibt es den ganzen Garten überhaupt nicht, er ist so unwirklich, dass man ihn gar nicht glaubt. Er ist so unwirklich, wie die Kunst, die es also auch eigentlich nicht gibt. Und im Grunde gibt es auch keinen Heinrich Kirchhoff, denn er ist so unwirklich, wie sein Garten und seine Bilder.“ (Kurt Schwitters, 1927)

Das von Kirchhoff in Wiesbaden angelegte Gartenparadies, das auch von Experten der Gartenkunst besucht und geschätzt wurde, war von außergewöhnlicher Pracht. August Siebert, der Gartendirektor des Palmengartens in Frankfurt am Main, besuchte Kirchhoff mehrfach und war voll des Lobes. Im Gästebuch der Familie trugen sich schon bald namhafte Besucher aus allen Regionen Deutschlands ein. Auch entstanden kleine Künstlerzeichnungen, die bei einem Besuch – etwa von Conrad Felixmüller oder Paul Klee – hinterlassen wurden. In der Krisenzeit infolge des Ersten Weltkriegs bot dieser außergewöhnliche Ort für Künstler ein Idyll, das ihnen an die 20 Jahre als Inspirationsquelle diente. Anschaulich belegt wird dies auf zahlreichen Werken, in denen sich exotische Pflanzen des Gartens als Motive finden.

Der Garten Kirchhoff in Wiesbaden, Beethovenstraße 10, um 1920.

Aufbruch Impressionismus

Der Beginn der Kunstsammlung Kirchhoffs wurde vornehmlich durch Gemälde des deutschen Impressionismus gelegt. Mit einem bemerkenswerten Gespür für Qualität erstand der Wiesbadener Sammler Hauptwerke des von Paul Cassirer viel gerühmten und geschickt beförderten Triumvirats dieser Stilrichtung: Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt. Die neuartige Freilichtmalerei, die sich dem Malen vor der Natur verschrieben hatte und an den aus Frankreich kommenden Maleinflüssen orientierte, gehörte noch Anfang des 20. Jahrhunderts zur vom Kaiser wenig geschätzten Avantgarde. Die Künstler wurden hingegen beim aufstrebenden Großbürgertum äußerst populär und erfreuten sich einer großen Nachfrage. 1918 gab auch Kirchhoff bei Liebermann, seinerzeit der gefragteste Porträtmaler, sein Bildnis in Auftrag. Im Umkreis des großen Meisters erhielten zahlreiche weitere Künstler, deren Werke unter dem Einfluss des Impressionismus entstanden, die Beachtung des Sammlers. Hierzu gehörten Wilhelm Trübner, Julius Hess, Oskar Moll oder der junge Max Beckmann.

Zu Max Liebermann, der wiederholt zu Gast in Wiesbaden war, entstand eine lebenslange Freundschaft. Vermutlich ist auf diese Verbindung Kirchhoffs Interesse an den Berliner Secessionisten zurückzuführen. Die Secession war um die Jahrhundertwende als Gegenbewegung zum etablierten Kunstbetrieb entstanden und versuchte jungen Künstlern Rückhalt gegenüber der kaiserlich konservativen Kunstpolitik zu geben. Kirchhoff beobachtete die Bewegungen der Berliner Kunstszene genau und versuchte durch seine Ankäufe entsprechende künstlerische Gruppierungen hervorzuheben.

 

Vom Expressionismus bis zur Abstraktion

Das Herzstück der ‚Sammlung Kirchhoff‘ bildeten die Expressionisten. Bereits während des Ersten Weltkriegs hatte Kirchhoff begonnen, farbintensive und formal expressive Bilder zu sammeln. Gezielt suchte er nach exemplarischen Spitzenwerken seiner Zeit, um den Facettenreichtum des Expressionismus abbilden zu können. Kirchhoff war bemüht, die Künstler seiner Werke nach Wiesbaden einzuladen und im persönlichen Gespräch ihre Kunst verstehen zu lernen. Mit jedem Maler war wiederum eine eigene künstlerische Position vertreten, wodurch die verschiedensten geistigen wie stilistischen Strömungen zusammenfanden und ein umfassendes Gesamtbild des deutschen Expressionismus widerspiegelten.

Schließlich hatte der Umsturz von der Monarchie zur ersten deutschen Demokratie in vielerlei Hinsicht zu Veränderungen beigetragen. Aus der Zerstörung heraus entstanden künstlerische Ideen einer neuen Lebensgestaltung durch geometrisch-abstrakte Konstruktionen. Paul Klee, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger waren 1921/22 als Lehrer dem Bauhaus in Weimar beigetreten. Ein Jahr später kam auch László Moholy-Nagy hinzu. In jener Zeit begann Kirchhoff seine impressionistischen Werke zu veräußern und sich zunehmend eben diesen Bauhaus-Vertretern zuzuwenden. Mit welcher Radikalität und Kompromisslosigkeit Kirchhoff diesen Weg vom Impressionismus zur Abstraktion zurücklegte, wird klar, wenn man bedenkt, dass er zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zehn Jahre lang Kunst sammelte.

Künstlerförderung in Wiesbaden

Die Schrecken des Ersten Weltkriegs stürzten viele Künstler in eine Lebens- und Schaffenskrise. Vor allem die jungen Talente, deren Studium zum Teil durch den Krieg jäh unterbrochen wurde, lebten am Existenzminimum. Heinrich Kirchhoff engagierte sich in dieser Zeit besonders für die Maler, die noch am Beginn ihrer Karriere standen. Unter ihnen sind Josef Eberz, Conrad Felixmüller und Walter Jacob hervorzuheben. Als ‚Mäzen der Moderne‘ bot er ihnen in Wiesbaden intensive Förderung, Unterkunft und Atelierplatz. So entstanden zahlreiche Arbeiten vor Ort, die häufig das Umfeld des Sammlers zeigen.

Der für Wiesbaden bedeutendste Künstler, den Kirchhoff unterstützte, war Alexej von Jawlensky. Nach seinem Schweizer Exil orientierte sich Jawlensky wieder nach Deutschland. Eine 1920/21 zu diesem Zweck arrangierte Wanderausstellung war in keiner Stadt so erfolgreich wie in Wiesbaden. Maßgeblich dazu beigetragen hatte Heinrich Kirchhoff, der auf Anhieb fünf Gemälde des Künstlers erwarb und ihn in seinen  ‚Garten der Avantgarde‘ einlud. Jawlensky ließ sich wenig später tatsächlich dauerhaft in Wiesbaden nieder. Die zunehmende Abstraktion im Werk des Malers, seine serielle Bearbeitung eines wiederkehrenden Themas – nämlich der Gartenvariationen – weckten die Faszination Kirchhoffs und führten dazu, dass er im Laufe der Zeit über 100 Arbeiten des Künstlers erwarb, darunter nicht weniger als 50 Ölgemälde.

Alexej von Jawlensky, Variation – frisch und klingend, um 1918, Merzbacher Kunststiftung.

Heinrich Kirchhoff zog mit seinem Garten und seinen Bildern neben den Künstlern auch Sammler wie August von der Heydt, Kunsthistoriker wie Julius Meier-Graefe und Kunsthändler wie Alfred Flechtheim an. Als für das Museum Wiesbaden von größter Bedeutung entpuppten sich die Besuche der Künstlerin Hanna Bekker vom Rath. Sie begann um 1920 selbst Kunst zu sammeln. Sehr wahrscheinlich war es Kirchhoff, der als Künstlermagnet und starke Persönlichkeit diese Idee in ihr entstehen ließ. Ihre private Kunstsammlung mit Hauptwerken von Max Beckmann, Erich Heckel, Adolf Hölzel, Alexej von Jawlensky oder Karl Schmidt-Rottluff kam 1987 an das Museum Wiesbaden, wo sie das heutige, hoch qualitätvolle Fundament der Abteilung ‚Klassische Moderne‘ bildet. Deren Malerei hatte Hanna Bekker zuvor alle in der „Sammlung Kirchhoff“ kennen- und schätzen gelernt.

 

Heinrich Kirchhoff und Alfred Flechtheim vor dem Hintereingang des Museums Wiesbaden, 1918.

Das Ende der ‚Sammlung Kirchhoff‘ kam abrupt. 1933/34 wurde sie aufgrund der politischen Umwälzungen aus dem öffentlichen Raum entfernt und der Familie des Sammlers zurückgegeben. Kurz darauf verstarb Heinrich Kirchhoff. Politische Ereignisse und familiäre Schicksalsschläge führten dazu, dass die Sammlung schließlich durch die Familie nach und nach aufgelöst wurde. Damit ging ein unersetzbares Stück gesammelte Kunstgeschichte verloren. Der einzigartige Garten wurde zum Opfer des Zweiten Weltkriegs. Heute finden sich die Werke aus der ehemaligen ‚Sammlung Kirchhoff' weltweit in den renommiertesten Museen wieder (u.a. MoMA, Solomon R. Guggenheim, The Metropolitan Museum, alle New York), was für ihre außergewöhnliche Qualität und Bedeutung spricht.

Katalog zur Ausstellung

Der Garten der Avantgarde
Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…
Roman Zieglgänsberger und Sibylle Discher (Hrsg.)
ca. 432 Seiten, 250 Abbildungen, 22 x 26,5 cm
Imhof Verlag, 2017
ISBN 978-3-7319-0584-4
Euro 35,- (Sonderpreis im Museumsshop)

Mit Beiträgen von Annette Baumann, Astrid Becker, Herbert Billensteiner, Sibylle Discher, Peter Forster, Franz Josef Hamm, Gerhard Leistner, Miriam Olivia Merz, Jutta Penndorf, Christiane Remm, Roman Zieglgänsberger

1917, vor genau 100 Jahren, zeigte das Museum Wiesbaden erstmals die private Kunstsammlung des Sammlers und Gartenliebhabers Heinrich Kirchhoff (1874–1934). In seinem tropischen Garten der am „Sonnenberg“ gelegenen Villa ging das Who ist Who der Avantgarde ein- und aus. Unter seinen Gästen waren nicht nur Kunstgelehrte und Sammler, sondern vor allem Maler wie Beckmann, Kandinsky, Klee, Nolde oder Rohlfs. Der Katalog zeichnet die Genese der „Sammlung Kirchhoff“ über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten (1914 bis 1933) nach und führt die Entwicklung der deutschen Kunst vom Impressionismus über den facettenreichen Expressionismus bis hin zur Abstraktion vor Augen.

Gerne schicken wir Ihnen den Katalog mit der Post zu. Bitte senden Sie dazu Ihren Bestellwunsch an: jessica.krimmel@museum-wiesbaden.de

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