Vom 9. März bis zum 15. Juni 2008 zeigt das Museum Wiesbaden eine Auswahl von 27 Gemälden und zahlreichen Zeichnungen des belgischen Malers Roland Delcol von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart.
Damit werden in Wiesbaden — parallel zur Retrospektive des amerikanischen Künstlers Robert Indiana und zum ersten Mal in Deutschland überhaupt — die geheimnisvollen Bilder Delcols mit ihrem metaphorischen Figurenkabinett und ihren selbstbewusst agierenden weiblichen Aktmodellen vorgestellt. Gerade in Roland Delcols vom belgischen Surrealismus beeinflusster, hyperrealistischer Malerei spiegeln sich stilistische Elemente der Pop-Art Amerikas. Darüber hinaus hat er mit seinen zahlreichen bildnerischen Zitaten aus der Kultur und Kunst seit den sechziger Jahren eine faszinierende, eigenwillig imaginäre Bildwelt geschaffen, die es noch zu entdecken gilt.
Der Sammler Axel Hinrich Murken über Roland Delcol:
Der belgische Maler Roland Delcol hat in über vier Jahrzehnten ein Oeuvre geschaffen, das in seiner künstlerischen und ästhetischen Dichte und Tiefe bisher wenig bekannt ist. Schon in jungen Jahren wurde er angeregt, sich mit den Gedanken und Ideen des Surrealismus auseinanderzusetzen, dessen zweite Phase er selbst in der Nachkriegszeit noch in Brüssel als Student der Akademie der Schönen Künste in Saint Gilles erleben konnte. Vom Surrealismus ausgehend hat Roland Delcol bis heute parallel zur damals aus Amerika kommenden Pop-Art und zum sie begleitenden Fotorealismus ein eigenständiges künstlerisches Werk entfaltet. Seine malerische Unabhängigkeit fand er schon Ende der sechziger Jahre in dem Sujet der „female nude“, die er als Symbol und Allegorie für sein Freiheitsempfinden zu einem zentralen Bestandteil seines künstlerischen Kanons gemacht hat. Zugleich drückt sich in seinem metaphorischen Bilderkosmos das Bestreben aus, sich von gesellschaftlichen Zwängen nicht vereinnahmen zu lassen. Auch eine aufklärerische Absicht scheint sich in seinen Gemälden zu verbergen: das Motto „changer la vie!“ möchte man mit Recht aus seinen Bildern herauslesen.
Delcol ist als Kind seiner Epoche in die Nachkriegszeit hineingewachsen, in den ausklingenden Surrealismus der sechziger Jahre und die damals aufblühende Pop-Art, die einen ganz anderen liberalen Zeitgeist als bisher mit sich brachte. Nach Delvaux, Labisse und Magritte entwickelte Delcol, begleitet von Literaten wie Louis Scutenaire, Irène Hamoir oder Eduard-Léon-Théodore Mesens, eine eigenständige „hyperrealistische Malerei“. Seitdem begann das Bild vom nackten Körper durch die Entmythologisierung und Liberalisierung in der Kunst eine immer größere Rolle zu spielen. Delcol erhob dieses Motiv zum intellektuellen Zentrum seines künstlerischen Werkes. Dabei blieb er den dem Surrealismus innewohnenden Tendenzen zum Experiment, zum Schock und zum überraschenden Effekt stets treu.
Aus der Rückschau von vierzig Jahren ist es bewundernswert, wie es Roland Delcol seit dem Ende seiner Brüsseler Akademiezeit bereits in der ersten großen Phase seiner Malerei von 1968 bis 1985 gelungen ist, dem als hochästhetisch empfundenen Sujet der unbekleideten Frau ein solches Ausdruckspektrum zu entlocken. Delcol versteht es, seine weiblichen Figuren durch verschiedene Wirklichkeitsebenen in eine Welt der Poesie zu versetzen. Mit ungewöhnlichen malerischen Inszenierungen macht er sich als mutiger Vertreter einer Liberalität bemerkbar, der alle moralisch-ästhetischen Einwände zum Schweigen bringt. Bei aller sich hier offenbarenden Sensibilität steckt aber auch in seiner Malerei ein gewisses Maß an Anarchie und Subversivität, die er — hier ganz surrealistischer Maler — zwischen Poesie und Schock einzubringen versteht. Dabei kommt Delcol offensichtlich ein künstlerisches Ideengebäude zugute, das mit dem dialektischen Denken vertraut ist. Die für die Kunstgeschichte ungewöhnliche Darstellung der weiblichen Nacktheit außerhalb des Ateliers, des persönlichen häuslichen Umfeldes, des Strand- und Badelebens wird von ihm neben aller Ästhetik zweifellos als allegorisches Mittel der künstlerischen Freiheit und der Rebellion gegen gesellschaftliche Zwänge und religiöser Moralvorstellung benutzt.
Axel Hinrich Murken, Roland Delcol: Der weibliche Körper als Allegorie, Herzogenrath 2005