Ende Mai 2020 hatte der Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. das Gemälde Prozession im Gebirge von Adolf Hölzel an die Erben der Frankfurter Familie Flersheim restituiert. Bis zur Überführung an die Erben in die USA war das Gemälde vom 30. Juni bis 30. August 2020 in der Gemäldegalerie des Museums präsentiert. Mittels der begleitenden Texttafeln konnten anhand von reproduzierten Archivalien und Fotografien die einzelnen Rechercheschritte bis zur Klärung der Herkunft nachvollzogen werden. Das Gemälde gehörte zu dem Konvolut von 30 Werken aus dem Nachlass der Frankfurter Sammlerin Hanna Bekker vom Rath, das sich seit 1987 als Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst im Museum Wiesbaden befindet. Erworben hatte Hanna Bekker vom Rath das Bild im Mai 1937 beim Frankfurter Auktionshaus Hugo Helbing. Es war dort zusammen mit weiteren Kunstwerken von den Eheleuten Ernst und Gertrud Flersheim eingeliefert worden. Im Zusammenhang mit ihrer erzwungenen Emigration hatten sie wesentliche Teile ihrer Kunstsammlung zur Versteigerung gegeben.
Nachdem im Zuge der Provenienzrecherchen festgestellt und belegt werden konnte, dass das Gemälde als Folge der NS-Verfolgung der Familie Flersheim veräußert werden musste, bekannte sich der Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. bereit, zu den
Washingtoner Prinzipien von 1998, wonach unrechtmäßig während des Nationalsozialismus erworbenes Kulturgut identifiziert und mit den Erben eine gerechte und faire Lösung gefunden werden soll. Am letzten Tag der Präsentation des Gemäldes im Museums Wiesbaden – am 31. August 2020 – war es in den dortigen Räumen der Kunstsammlung zu einem wohl bislang in der Museumsgeschichte einzigartigen Treffen gekommen.
Pandemiebedingt musste ein zuvor verabredeter Termin zur Restitution des Gemäldes an die Erben nach Ernst und Getrud Flersheim unter persönlicher Anwesenheit der Familie, Erbenvertreterin und des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. abgesagt werden und konnte lediglich als virtuelles Zoom-Treffen stattfinden. Was zunächst eher als Einschränkung empfunden wurde, erwies sich jedoch als eine wahrhaftige Chance. Es ist tatsächlich eher selten, dass wir als Provenienzforscherinnen die Gelegenheit haben, im Zuge einer Restitution, Nachfahren der früheren Eigentümer kennen zu lernen. In diesem Fall ermöglichte das direkt vor dem Gemälde realisierte Zoom-Meeting einen sehr bewegenden und ergreifenden Austausch mit gleich mehreren Generationen von in den USA, Großbritannien und Deutschland lebenden Nachkommen der im Nationalsozialismus ermordeten Eheleute Ernst und Gertrud Flersheim.
Text: Miriam Olivia Merz
Abbildung: Adolf Hölzel, Prozession im Gebirge, 1909/10, Detail. Erben nach Ernst und Gertrud Flersheim. Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert