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Dünger für das Paradies — Fortsetzung

AUSSTELLUNGEN

Ausstellungsansicht. Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

1920 / 2020

Ausstellungskatalog heute und vor 100 Jahren. Foto: Museum Wiesbaden
Ausstellungskatalog heute und vor 100 Jahren. Foto: Museum Wiesbaden

 

 

„Paradies! Paradies?“ ist jedoch keine strenge Rekonstruktion dieser Gedächtnis-Ausstellung, vielmehr sollte die Neuauflage ihr im Charakter nahekommen, dass beispielsweise alle die Werkgruppen auch vertreten sind, die damals vorgestellt wurden, etwa Aquarelle der berühmten Tunisreise (1914), Bilder aus seiner Münchner Zeit (1910) oder dem Schweizer Aufenthalt am Thuner See in Hilterfingen (1913). Ebenso die intensive Auseinandersetzung mit der Kunsts seiner Zeit, und man spüren kann, dass sein Katalysator die fauvistische Malerei Henri Matisse gewesen ist, wie es Vincent van Gogh für Jawlensky oder Paul Gauguin für Werefkin war. Jeder knüpft halt woanders an, um aus dem Schatten der Geschichte zu treten. 

Die dritte Ebene, eine uns sehr am Herzen liegende übrigens, die uns und hoffentlich auch Ihnen viel, viel Freude bringt und zudem der Zugang zum Künstler August Macke sein kann, ist seiner Frau Elisabeth gewidmet. Sie war es ja, die die Gedächtnis-Ausstellung vor 100 Jahren maßgeblich unterstützt und möglich gemacht hatte, weshalb es unser Anliegen war, auch sie, die ihren späteren Mann im Alter von fünfzehn auf dem Schulweg kennenlernte, in ihrer Beziehung zu ihm in der Ausstellung zu „haben“. Da gibt es die wunderbare „Frau des Künstlers mit Hut, die er doppeldeutig als „Mona Lisa“ bezeichnete und damit nicht nur liebevoll seine Elisabeth meinte, sondern auch, dass es sich um eine Ikone in seinem Werk handelt. Das Bild war zunächst als Halbfigurenbild geplant und Macke schnitt nach und nach im Werkprozess immer mehr davon ab, bis es den heutigen Zustand hatte – gemindert wurde die repräsentative Wirkung, gesteigert die Nähe zur Dargestellten. Und es ist ja immer so, man gibt ja nichts freiwillig auf, wenn man nichts gewinnt: Es gibt kaum ein Porträt aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das so modern und gleichermaßen berührend ist wie diese Mona Lisa.  

Direkt daneben hängt die Stickende Frau auf dem Balkon, das ebenfalls Elisabeth zeigt. Hier führt Macke all das zusammen, was ihm in seiner Bildwelt bedeutsam war. Im Zentrum sitzt seine geliebte Frau, die selbst um sich herum nichts und niemanden wahrnimmt, weil sie ganz in ihr Tun vertieft ist. Mit weißem Kleid, gesenkten Augen, rosigen Wangen und angedeutetem Lächeln am runden Tisch vor dem Balkongeländer bildet sie ganz selbstverständlich den Mittelpunkt des Bildes. Die rote Linie der Tischkante, die mit ihrer Halskette korrespondiert, das Ornament der gestickten Tischdecke und die farbigen Wollknäuel in der Schüssel, die auf die sorgsam ausgeführte Handarbeit verweisen, die Anordnung der vier Blumentöpfe, deren sprießende Blüten den Kopf der Dargestellten rahmen – all dies bettet die junge Frau, einer zarten Erscheinung gleich, fest in ein paradiesisches Umfeld ein, das August Macke für sich und seine Kunst erschuf und zu nutzen wusste. Das Bild umfasst damit den gesamten künstlerischen wie gedanklichen Horizont Mackes: Elisabeth steht symbolisch – die Bildanordnung befördert das Gefühl von absoluter Geborgenheit – für den sicheren familiären Hafen. Zugleich diskutiert Macke in Anlehnung an die aktuelle Malerei von Henri Matisse die Bedeutung des Ornaments als Verbindungsglied zwischen abstrakter Kunst und deren angewandten Möglichkeiten.

Und da sind wir wieder zurück am Anfang auf der ersten Ebene. Es gibt nämlich in unserer Ausstellung zwei farbige Ornamententwürfe für Übertöpfe. Die könnte man fast übersehen, wenn man nicht stutzt, weil diese so positiv „entflammt“ wirken, dass man meinen könnte, der Künstler habe den Dünger für die Pflanzen gleich mitgemalt. Der auf dem Gemälde noch schnöde wirkende Terrakottaübertopf ist so durch Mackes künstlerische Behandlung zum „Paradies“ für jede noch so gemeine Topfpflanze geworden.

Dr. Roman Zieglgänsberger
Kustos für Klassische Moderne

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