Alfons Mucha, La Nature, um 1899, Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert
Alfons Muchas Büste La Nature ist das Gesicht der Jugendstilsammlung F. W. Neess im Museum Wiesbaden. Der tschechische Künstler schuf die Frauenbüste La Nature zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie ist die erfolgreichste Arbeit des Künstlers auf dem Gebiet der Plastik und wurde in verschiedenen Versionen und Materialien realisiert. Die Version im Museum Wiesbaden wurde 1900 auf der Pariser Weltausstellung und 1902 in Turin präsentiert. Doch hinter dem spiegelnden Silber, den goldenen Kreolen, der matt vergoldeten Bronze und dem azurblauen Lapislazuli auf der Krone der Büste verbirgt sich ein Geheimnis.
Die Büste zeigt eine junge Frau mit geschlossenen Augen und einem friedlichen, besonnenen Gesichtsausdruck. Auf ihrem Kopf thront eine kaum von den Haaren zu unterscheidender Krone mit Federn, Zierketten, ornamentalen Blumen und Schneeflocken. Wie reich verziert sie in Muchas Vorstellungskraft war, lässt sein Plakat (Zodiaque, 1896) für die französische Zeitschrift La Plume veranschaulichen. Das markanteste Merkmal von La Nature sind die langen, sich windenden Haare, an denen auch die verspielten Linien der Art Nouveau-Bewegung deutlich werden.
Die Haare verbinden sich mit dem Sockel der Büste. Dort verändert sich ihre Form; die Linien werden schärfer, strudelförmiger.
Wie schon bei Botticellis Venus, die dem Meer entspringt, symbolisiert der Sockel der Statue das lebensstiftende Element des Wassers. Aus ihm geht die Frau als Sinnbild für Leben und Fruchtbarkeit hervor. Mucha krönte die Büste mit einer goldenen Krone und versah sie mit Ohrringen. Es gibt sieben bekannte Versionen und jede Variante von La Nature wird neben unterschiedlichen Juwelen auf der Krone von einem anderen Ohrschmuck oder auch keinen Ohrringen geziert. Die Kronen von Muchas Büsten heben sich farblich kaum von ihren Haaren ab. Bis auf die Juwelen erscheinen sie nahezu schlicht. Die Drapierung der Haare von La Nature sieht keinen weiteren Schmuck vor. Die Kreolen der Wiesbadener Büste erinnern an aufgereihte Perlen. Es sind die Ohrringe, die auf eine der Funktionen der Büste hindeuten. Möglicherweise sollte sie dazu dienen, Ohrringe in den Schauräumen der Pariser Boutiquen zu präsentieren.
Denn der Künstler wurde 1900 vom Goldschmied Georges Fouquet beauftragt, eine Schmuckkollektion für die bevorstehende Weltausstellung, auf der auch die Büste aus der Sammlung Neess präsentiert wurde, zu entwerfen. Mucha wird bei der Ausarbeitung von La Nature sicherlich auch ein genaues Augenmerk auf den Schmuck gelegt haben.
Kurz darauf, 1901 wurde er mit der Innenarchitektur des Juweliergeschäfts von Georges Fouquet beauftragt. Die Ausstattung des luxuriösen Schmuckladens, der sich in der Pariser Rue Royale 6 befand, bot die perfekte Schatulle für das Sortiment, aber auch für Muchas Büste. Skizzen belegen, dass eine Version von La Nature auf dem Kaminsims präsentiert werden sollte. Die Boutique schloss 1923, jedoch wurde die Innenarchitektur gerettet. Sie kann heute im Musée Carnavalet besichtigt werden.
Für einen Geschäftsmann wie Georges Fouquet könnte es von Interesse gewesen sein, dass die Büste einem Pariser Star nachempfunden worden sein soll. Schon damals wusste man berühmte Personen als Models zu beauftragen, um Produkte erfolgreicher zu präsentieren. In Frage kämen die Schauspielerin Sarah Bernhardt (1844-1923) oder die Tänzerin Cléo de Mérode (1875-1966). Letztere war ein populäres Modell für Künstler wie Edgar Degas oder Henri de Toulouse-Lautrec und um ihre Rolle als Vorbild für La Nature ranken sich heute Gerüchte. Sarah Bernhardt schloss 1894 einen Exklusivvertrag mit Mucha ab, der dazu führte, dass die weltweit bekannte Französin für seine Arbeiten Modell stand und dem Künstler andererseits zu Ruhm und zahlreichen Aufträgen verhalf. La Nature könnte die junge Sarah Bernhardt zeigen, vergleicht man die Profile eines Porträts von Alfred Stevens, um 1882 mit der Statue.
Aber nicht die Identität des Modells ist das Geheimnis, welches die Büste im Museum Wiesbaden hegt. Dieses verbirgt sich im Sockel des Lapislazulis der Krone von La Nature. Denn neben dem Juwel bedachte Mucha auch eine Fassung für eine Glühbirne. Die Büste ist ausgestattet mit der damals modernsten Technik – elektrischem Licht.
Es scheint, als hätte Mucha schon seit 1896 die Vision gehabt, eine Frauenbüste zu schaffen. Das Plakat für La Plume zeigt das Vorbild für La Nature: Mit geöffneten Augen, reich bekleidet und beschmückt. Um 1899 realisierte er sein Vorhaben und schuf mehrere Skulpturen. Die Aufträge des Juwelier Fouquets mussten den Künstler sicherlich inspiriert haben, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, in welchem seine Frauenbüste als zentrales Element präsentiert werden konnte: Es sollte Kunst und Kommerz verbinden. Ferner versuchte Mucha sich an den neuen technischen Errungenschaften seiner Zeit und machte den Sockel der Krone zu einer Fassung für eine Glühbirne, die das Antlitz der Skulptur wie einen leuchtenden Stern zum Strahlen bringen sollte.
Autorin:
Susanne Hirschmann