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Zum Tag der Provenienzforschung

WISSEN & FORSCHUNG

Max Liebermann (1847—1935), Mutter mit Kind, um 1917, Kreide auf Papier, Museum Wiesbaden. Foto: Museum Wiesbaden

Provenienzforschung
zu einem Depot-Fund

"Ein wichtiges Ziel der Provenienzforschung zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern ist die möglichst lückenlose Klärung der Besitzerwechsel eines Kunstwerkes im Zeitraum von 1933 bis 1945." (Miriam Merz)

In diesem Video stellt Provenienzforscherin Miriam Merz ein aktuelles Beispiel der Provenienzforschung am Museum Wiesbaden vor: Max Liebermanns Zeichnung Mutter und Kind im Bestand des Museums Wiesbaden.

Manchmal kann aufgrund fehlender Quellenüberlieferungen die  Provenienz eines Objektes während der NS-Zeit nicht restlos bestimmt und folglich ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden. Aber auch in solchen Fällen können die Ergebnisse der Provenienzforschung wichtige Details und Informationen zur Sammlungs- und Objektgeschichte beitragen. Auf dem Blatt ist eine Mutter mit Kind im Arm auf einem Baumstamm sitzend dargestellt. Im Hintergrund sehen wir eine weite Landschaft. Ein Bauer führt einen von Ochsen gezogenen Pflug über ein Feld. Die Zeichnung ist unten links signiert: „M. Liebermann“. Die Zeichnung war nach ihrem Eingang in den Sammlungsbestand des Museums als Geschenk von Rose und Friedrich Klein im Jahr 1980  zunächst nicht inventarisiert worden; Zuschreibung, Entstehungsjahr und Technik waren weder gesichert noch bekannt. Im Zuge der Recherchen zu ihrer Provenienz konnte auf Nachfrage beim Max Liebermann-Archiv die Zeichnung der Hand des Künstlers zugeordnet werden und eine Datierung auf 1917 vorgenommen werden. Max Liebermann hat für seine Zeichnung schwarze Kreide auf Velinpapier verwendet, wie eine Untersuchung der Papierrestauratorin des Museums Wiesbaden erbrachte. Einen ersten Hinweis auf die Herkunft der Zeichnung konnte der Aufschrift auf dem ehemaligen Passepartout entnommen werden. Dort steht „Frau M. Diez-Dührkoop“ und „M. Liebermann, 21.9.1917“. Es handelt sich um eine Widmung des Malers an die bekannte deutsche Fotografin Minya Diez-Dührkoop (1873—1929).

Viele Künstler der Moderne ließen sich von der in Hamburg tätigen Fotografin porträtieren — so auch mehrfach Max Liebermann. Wie aus überlieferten Briefen des Malers hervorgeht, war diese Zeichnung ein Geschenk Max Liebermanns an Minya Diez-Dührkoop. Als Dank für Fotoabzüge, die sie im Juli 1917 erstellt hatte, durfte sie sich in Max Liebermanns Atelier in Berlin eine Zeichnung aussuchen.Minya Diez-Dührkoop wirkte mit ihrem fotografischen Schaffen über Hamburg hinaus. Die Fotografin gehörte 1919 zu den ersten Mitgliedern der berufsständischen Gesellschaft Deutscher Lichtbildner (GDL), war Teil des Hamburger Kunstlebens und sammelte zeitgenössische Kunst. Seit 1910 war sie passives Mitglied der Künstlervereinigung „Die Brücke“. Interessant ist, dass innerhalb des überlieferten Porträtwerks Minya Diez-Dührkoops das Thema Mutter und Kind eine besondere Rolle spielt — und sie vermutlich auch deshalb genau dieses Blatt mit der Darstellung einer stillenden Mutter ausgewählt hatte.

Die Zeichnung stammt aus einem Skizzenbuch Max Liebermanns, wie sich am gerissenen Rand der linken Blattkante erkennen lässt. Sie ist vermutlich 1917 entstanden, wobei Max Liebermann dabei Motive aus seinem eigenen früheren Werk aufgreift. So stammen die Darstellungen der stillenden Mutter und des pflügenden Bauern aus einem seiner Entwürfe für die Darstellung des Frühlings innerhalb eines Jahreszeitenzyklus, den er 1898 für die Dekoration des Rathauses von Altona gemacht hatte. Ob die Zeichnung bis zum Tod der Fotografin im Jahr 1929 in ihrem Besitz verblieben war, ließ sich noch nicht herausfinden. Ungeklärt ist bislang auch noch, wann Rose und Friedrich Klein das Blatt erworben hatten. Bemerkenswert ist, dass der Passepartoutrahmen die Zeichnung seit 1917 begleitet hat — ohne die darauf befindliche Widmung Max Liebermanns hätte diese Provenienzgeschichte nicht erzählt werden können.

Fazit:
Um die Provenienz eines Kunstwerks klären zu können, braucht es Ansatzmöglichkeiten für Recherchen — seien es schriftliche Quellen wie Ankaufsunterlagen, Korrespondenzen etc. oder Spuren wie diese Widmung. Je bekannter ein Künstler ist, desto größer sind auch die Chancen, dass sein Werk bereits wissenschaftlich erfasst ist. Von Max Liebermann gibt es einen mehrbändigen Catalogue Raisonné der Gemälde und eine bearbeitete kritische Ausgabe seiner Briefe — beides sind wichtige Sekundärquellen für die Provenienzforschung. Auch wenn die Provenienz der Zeichnung für den Zeitraum 1933 bis 1945 bislang nicht abschließend geklärt werden konnte, so lieferten die Recherchen gleichwohl wertvolle Details und Erkenntnisse zu ihrer Objektbiografie.

Der Fall Roelant Savery

"Trotz aller intensiven Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, die ursprünglichen Besitzer des Bildes ausfindig zu machen, das begangene Unrecht aufzuarbeiten und zu restituieren. Das Museum wird auch zukünftig alles daran setzten, die Eigentümer des beschlagtnahmten Bildes zu ermitteln." (Dr. Peter Forster)

In diesem Video wirft Dr. Peter Forster einen Blick auf Roelant Saverys (1576—1639) Waldlandschaft mit wilden Tieren, entstanden um 1620, und thematisiert dabei die schwierige Nachverfolgung des Werkes, das 1943 in den Bestand des Museums Wiesbaden überging.

Bei dem Gemälde Waldlandschaft mit kämpfenden Tieren von Roelant Savery (1576—1639), um 1620, handelt es sich um Raubkunst aus jüdischem Besitz. Wie aus den im Museumsarchiv vorhanden Akten unzweideutig hervorgeht, befindet sich das Werk unrechtmässig im Museum Wiesbaden. Am 12. Februar 1943 erging vom damaligen Museumsdirektor Hermann Voss (1884—1969) ein Antrag an den Kulturdezernenten in Wiesbaden auf den Ankauf eines Bildes: „Durch das Entgegenkommen des Vertrauensmannes der Reichskammer der bildenden Künste in Frankfurt a.M., Herrn Schumann und des Städelschen Kulturinstitutes, Herrn Dr. Holzinger, hat sich das Finanzamt Aussenbezirksverwaltungsstelle Frankfurt a.M. bereit erklärt, der Wiesbadener Gemäldegalerie eines der beschlagnahmten Gemälde käuflich zu überlassen, und zwar zu einem, mit Rücksicht auf den gemeinnützigen Zweck der Gemäldegalerie, ermässigten Preis. Es handelt sich um ein ziemlich grosses Landschaftsbild des Antwerpener Roelant Savery, in dem nach der Art des bekannten Tiermalers zahlreiche Tiere dargestellt sind. Für das Bild werden von uns nur 1 600.- RM verlangt; das ist weit weniger als der normale Preis im Kunsthandel wäre und ein sehr grosses Entgegenkommen gegenüber der Galerie. Leider sind im Haushaltsplan keine Mittel mehr für diesen Zweck vorhanden. Da wir aber unmöglich diese Gelegenheit vorbei gehen lassen dürfen und da es das Finanzamt von künftigen Entgegenkommen uns gegenüber abhalten würde, wenn wir verzichteten, so bitte ich, erwägen zu wollen, ob der Betrag als überplanmässige Ausgabe bei Herrn Oberbürgermeister beantragt werden soll, oder welcher Weg sonst als angezeigt erscheint“. Die Genehmigung für den Ankauf durch den Oberbürgermeister erfolgte kurz darauf und am 30.07.1943 wurde das Gemälde per Auto aus der Kunsthandlung Schumann in Frankfurt am Main in das Museum Wiesbaden überführt. Hermann Voss war von 1935 bis 1945 Direktor in Wiesbaden und wurde 1943 von Joseph Goebbels in der Nachfolge des verstorbenen Hans Posse sowohl zum Sonderbeauftragten für das Führermuseum in Linz als auch zum Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden ernannt. In Personalunion leitete er das Museum Wiesbaden bis 1945 weiter. Das in seiner Amtszeit aufgebaute „System Voss“ mit seinem über 200 Erwerbungen für Wiesbaden wird von Seiten des Museums und der Zentralen Stelle für Provenienzforschung in Hessen systematisch aufgearbeitet und jedes Objekt auf seine ursprüngliche Provenienz hin überprüft.

Bei der „Erwerbung“ des in der Forschung bislang unbekannten Gemäldes von Savery wirkten die gut vernetzten und vertrauten Kräfte im Rhein-Main-Gebiet zusammen. Das Werk stammt mit Sicherheit aus einer jüdischen Frankfurter Sammlung und wurde nur dank der „guten Zusammenarbeit“ jener Personen ins Museum Wiesbaden gebracht, die sich aufgrund ihrer beruflichen Stellung ermächtig sahen, aus dem Leid ihrer jüdischen Mitbürger Gewinn für das Museum Wiesbaden zu ziehen. Die beteiligten Akteure nutzten in einem Unrechtstaat jede sich bietende Gelegenheit, um ihre abstrusen Vorstellungen einer Vergrößerung ihrer Sammlungen umzusetzen. Damit traten sie die Ideale und Ideen für die Kunst standen und stehen, mit Füßen. Gleich zu Beginn seiner Wiesbadener Zeit legte Voss großen Wert darauf, ein Netzwerk um die hessischen Institutionen, Kunsthändler und Sammler aufzubauen. Neben den „normalen“ musealen Tätigkeiten wie beispielsweise die Organisation von Sonderausstellung legte er auch bei Neuerwerbungen Wert auf den institutionellen Austausch mit anderen Museen wie dem Städel und dem Liebieghaus in Frankfurt. Im Ergebnis informierte man sich gegenseitig und half sich beim Erwerb von Kunstwerken aus jüdischem Besitz. Die guten Beziehungen führten dazu, dass man gemeinsam gestohlen hatte. Trotz aller intensiven Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, die ursprünglichen Besitzer des Bildes ausfindig zu machen, das begangene Unrecht aufzuarbeiten und zu restituieren. Das Museum wird auch zukünftig alles daran setzten, die Eigentümer des beschlagtnahmten Bildes zu ermitteln. Solange wird das Gemälde weiter präsentiert, auch in der Hoffnung durch die öffentliche Sichtbarkeit, weitere Aufmerksamkeit hierfür zu generieren. Um auf die ursprüngliche Herkunft deutlich aufmerksam zu machen, befindet sich neben dem Bild eine Tafel mit der Kopie jenes Dokumentes, das in aller Klarheit von NS-verfolgungsbedingten Entzug Zeugnis abliefert.



Dr. Peter Forster & Miriam Merz M. A.

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