Das Museum Wiesbaden ist aktuell bis zum 3. Mai 2020 für die Öffentlichkeit geschlossen. In den Ausstellungsräumen herrscht eine ungewohnte Leere. Vermisst werden die Gäste, Familien, Schulklassen und Besuchergruppen, die sonst das Haus mit Leben erfüllen. Ohne Zweifel sehnen wir uns nach Normalität und freuen uns auf den Tag, an welchem unsere Türen für die Öffentlichkeit wieder geöffnet werden können.
Was ist es, was unsere Besucherinnen und Besucher in diesen Tagen vermissen?
Was sind ihre Sehnsuchtsobjekte?
Im Osterbrief an den Freundeskreis des Museums, die
Freunde des Museums Wiesbaden e V.,
lud Museumsdirektor Andreas Henning alle Mitglieder dazu ein, uns eine Botschaft mit jenen Objekten zu schicken, welche sie momentan nur in ihren Erinnerungen, in Publikationen oder auf ihren privaten Fotos sehen können.
Wir möchten die Einsendungen mit Ihnen teilen und bedanken uns herzlich für die rege Teilnahme der Mitglieder unseres Freundeskreises.
Vitrine der Seesterne im Themenraum Form der Dauerausstellung „Ästhetik der Natur“
Dabei denke ich sofort an die Vitrine der Seesterne im Themenraum Form der Natur-Abteilung. Mit den eindrucksvollen Farben und speziellen Formen der kunstvoll konservierten Gemeinschaft der sternförmigen Tiere lädt sie mich immer wieder zum Verweilen und Betrachten ein. Die Grenzen zwischen Natur und Kunst verwischen. Es ist ein Ort vieler Möglichkeiten: vom ästhetischen Erleben bis zur Auseinandersetzung mit der Biologie der Stachelhäuter, zu denen die Seesterne mit ihren etwa 1600 Arten zählen; dazu lassen sich hier auch wunderbare Zeichnungen anfertigen — und ganz nebenbei noch in Erinnerungen an die vergangenen Tage am Meer schwelgen.
Marianne von Werefkin, Badehaus, 1911
Und immer wieder stehe ich vor dem „Badehaus“ der Marianne von Werefkin. Es ist ja nicht nur während der — leider noch geschlossenen — Ausstellung „Lebensmenschen“ zu sehen, es gehört unserem Museum. Entstanden ist das Werk 1911, als Alexej von Jawlensky und sein Lebensmensch, die Werefkin, an der Ostsee in Prerow Ferien machten. Allein der violette Himmel über dem "unendlich prachtvollen Strand", den laut Kurator Roman Zieglgänsberger die Künstlerin in einem Brief an Freunde beschreibt, lässt mir das Herz aufgehen. Ich habe vieles über das Bild gelesen. zum Beispiel, dass Experten dem Pinselstrich eine Nähe zu Gauguin nachsagen. Für mich persönlich ist es diese besondere Atmosphäre, die verzaubert. Ein Stimmungsbild, das mir Ferien in Kindertagen an der See ins Gedächtnis bringt und Sehnsucht nach Meer weckt. Übrigens, Marianne von Werefkins „Badehaus“ gibt es im Museum Wiesbaden als Postkarte. Sie hängt zu Hause an meiner Pinnwand...
Arbeiten von Alexej von Jawlensky und seinen Zeitgenossen
Karfreitagsbeschäftigung — Sehnsuchtsbilder — vermisst: zwei gelbe Tischdecken, ein Garten in Ascona und der Garten in Murnau. In den alten Katalogen gestöbert — Handyfotos gemacht — um sie zu zeigen, aber eigentlich kann ich sie ja auswendig, alle diese Bilder. Die Rückseite von Nikita, was ich lange nicht wusste, war das erste Jawlensky-Bild zu dem ich einen Schulaufsatz geschrieben habe, unser Museum in den frühen 70er-Jahren entdeckt, das Bild zum Beschreiben durfte ich mir selbst aussuchen. Vom Dorf mit dem Postbus in der Stadt — immer wieder zu Jawlensky und seinen Freunden. So müsste man malen können. Das sind die schönsten Bilder gewesen, bis dahin, diese und die kleinen Tafeln mit den Heilandsgesichtern, die damals noch in Kabinetten hingen auf dunkler Wand. Beim Münterbild war es der Garten, und dieser bayerische Himmel, den kannte ich auch. Bei der ersten Wiesbadener Tischdecke war es das Leuchten des Gelb und die Idee der Formen und Muster. Bei der zweiten Tischdecke war es Jahre später die Freude, dieses noch viel schönere Tischdeckenbild nun auch im Museum zu haben. Die Zartheit der Farben des Gartens in Ascona haben mich schon als Schülerin über rascht, das Kräftige kann auch hell und leicht sein, in der Welt herrschte eben noch der Weltkrieg und er erlaubt sich das Hintupfen von Rosa, Gelb und Violet. Hoffnung, Sehnsucht? Wie geht es uns in diesen Corona-Zeiten? Kann man als Künstler gerade jetzt Leichtigkeit finden? Vielleicht war aber auch nicht genug Material vorhanden, um laut und stark mit der Farbe umzugehen. Später, was für ein Glück: dank Jawlensky, musste zur Aufnahmeprüfung am Städel für die Malklasse ein Bild interpretiert werden. Ich bekam einen Cezanne mit Äpfeln. Leicht war es, den viel früheren Cezanne als Wegbereiter in die Moderne über Matisse zu Jawlensky hin zu erklären. Bestanden! Und noch bevor das erste Semester an der Akademie begann, mussten Garten und Haus der Münter dringend zu mir — so habe ich es im Originalformat in Öl auf Pappe nachgemalt, es hing Jahrzehnte an der Balkonwand im Dambachtal mit Blick auf die Stadt. Leider ist es abhanden gekommen, es war ein schönes Bild (und eine gute Übung für die angehende Kunststudentin) und es war soviel leichter, die Malerin zu kopieren, als Jawlensky, das wäre vermessen gewesen. Diese Sehnsuchtsbilder. Nun sind sie alleine im Museum und niemand kann sie sehen. Vielleicht können sie sich ein bisschen ausruhen von den vielen fremden Augen, die sie seit Jahrzehnten betrachten. Vielleicht erzählen sie sich gegenseitig etwas von ihrem Leben. Ich bin sicher, sobald ich sie wieder sehen kann, werden die Farben intensiver, das Leuchten schöner und die Formen überraschender sein als noch vor ein paar Wochen. Hoffentlich dauert es nicht zu lange, und wir alle bleiben gesund, um ihnen bald wieder zu begegnen.
Kazuo Katase, Raum eines Raumes — Allegorie, 2009
Eigentlich spaziere ich immer wieder gerne durch die Säle und lassen mich in der Museumswelt treiben. Ein Objekt, das mich sehr beeindruckt, ist der Kasten, in dem das berühmte Vermeer-Gemälde „Mädchen mit dem Perlenohrring“ (das im Original in Den Haag hängt) beleuchtet wird. Es gehört zu einer Rauminstallation des Künstlers Kazuo Katase, die man bei den Alten Meistern findet und die im Kontext der Neukonzeption der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts entstanden ist.
Ilya Kabakov, Der rote Wagen, 1991
Ich freue mich darauf, nach der Öffnung wieder in die Künstlerräume der Moderne gehen zu können. Freue mich auf die dortige Atmosphäre von Konzentration und Ruhe in dieser aufwühlenden Zeit. Ich werde mich sicher im Kabakov-Raum in den „Roten Waggon“ setzen und bei leiser Musik die Gedanken ordnen. Dann die Treppe hoch in den ‚umgezogenen' Beuys-Raum gehen. Nachschauen, wo sie jetzt sind, die Lazarett-Tasche, die Jeans oder Objekte wie die Capri-Batterie, die immer schon die Wichtigkeit der Anwesenheit und Fürsorge eines anderen Menschen bezeugt haben. Beuys hob die leibseelischen Grundbedingungen künstlerisch hervor, indem er auf die Verwundbarkeit des Menschen, aber auch auf die prinzipielle Überwindbarkeit, die Möglichkeit der Heilung und Fürsorge hinwies. Ich bin gespannt, mit welchen Gefühlen und Gedanken ich diesen Raum beim nächsten Mal betreten werde.
Louis Chalon, Porzellanmanufaktur Charles Pillivuyt,
Ausführung: Alphonse Lamarré, Vase La Mer (Das Meer), o.J.
Für mich ist die „Vase La Mer“ in der Jugenstilausstellung das erste Ziel jedes Besuchs im Museum. Diese Keramik ist jetzt mein Sehnsuchtsobjekt, mit den wunderschönen Blautönen und der Vielschichtigkeit
- Möwen in der Luft
- Wellen an der Meeresoberfläche
- aufsteigende Quallen im Wasser und
- Seetang am Fuße/Boden
Aktuell symbolisiert diese Keramik für mich perfekt den Urlaub an der See — der in diesem Frühjahr leider wegen der Maßnahmen gegen die Pandemie ausgefallen ist.
Meine „Sehnsucht“ besteht auch darin, diese besondere Keramik einmal zu „begreifen“. Das haptische Erlebnis bleibt beim bloßen Anschauen unerfüllt. Thomas Moser hatte in seinem Vortrag am 25.02.2020 die Haptik der Kunstobjekte besonders erwähnt.Ob es da eine Gelegenheit des taktilen Erfassens einzelner Keramiken und Bronzen geben könnte? Wäre das eine Projektidee für die Jugenstilausstellung — nicht nur für sehbeeinträchtigte Museumsbesucher?
Schön, dass ich weiter träumen darf!
Angela Glajcar, Terforation 2.0., 2017
Jedes Mal, wenn ich das Museum betrete, geht mein Blick nach rechts und ich möchte die großartigen Papierarbeiten von Angela Glajcar nicht missen!
Egal von welcher Seite man sie anschaut, es ist jedes Mal ein neues Bild.
Alexej von Jawlensky, Helene im spanischen Kostüm, um 1901
Mein Lieblingsbild ist „Helene im spanischen Kostüm“. Warum?
Ein kraftvolles Frauenbild, die Hände zum Zeichen der Dominanz in die Hüfte gestemmt, leicht rebellisch blickend und sogar spöttisch lächelnd, da sie als das ehemalige Dienstmädchen die Stelle von Jawlenskys Angetrauter künftig einnehmen wird. Ein wunderschönes Spiel von Farbe und Pinselstrich, in einem außergewöhnlich großen Format gemalt. Und natürlich bin ich begeistert von der „story behind". Und ich bin froh, dass der Sammler Frank Brabant schon vor Jahren meinem Museum dieses Werk geschenkt hat, obwohl russische Oligarchen großes Interesse an dem Werk hatten und ihm das Bild unbedingt abkaufen wollten.
Anselm Feuerbach, Nanna, 1861
Speyer, 60er Jahre: Erste Besuche mit meinen Eltern im Historischen Museum der Pfalz, erste Begegnung mit Kunst. Sofort „verguckte“ ich mich in die Gemälde von Anselm Feuerbach und vor allem die Nannas erschienen mir als Inbegriff von Schönheit, erweckten zudem die Sehnsucht nach dem Land der Schönheit, nach Italien. In den 70er Jahren retteten wir das Speyerer Geburtshaus von Anselm Feuerbach vor dem Abriß und unsere Bürgerinitiative wandelte es in ein Museum und in eine kulturelle Begegnungsstätte um.
Wenn ich heute die „Nanna“ in Wiesbaden anschaue, fühle ich mich wieder wie das staunende, beglückte Kind ...
Der „Gelbe Salon“ im Edu-Forum
In Zeiten der pandemiebedingten Schließung gilt meine Sehnsucht den Besucherinnen und Besuchern. Denn erst dann, wenn sie wieder Leben in unsere Ausstellungsräume bringen, ist das Museum komplett. Konkret gilt meine Neugier den Werken, die unsere Gäste inspiriert durch die große Sonderausstellung „Lebensmenschen — Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin“ malen, zeichnen, schreiben oder dichten werden. Dazu wurde von der Abteilung edu eigens der Gelbe Salon im Untergeschoss des Museums eingerichtet. Dort sind alle Gäste eingeladen, Werke von ihren persönlichen Lebensmenschen zu entwerfen. Noch sind die Wände hier sehr leer und harren auf viele kreative Arbeiten, auf dass der Gelbe Salon eine ganz besondere Ausstellung wird — von und für Museumsbesucherinnen und Museumsbesucher aller Altersgruppen!
Sie sehnen sich auch nach einem Kunstwerk oder einem Objekt aus unseren Dauerausstellungen der Naturhistorischen Sammlungen? Haben Sie ein Werk oder Objekt vor Augen, das Sie als erstes aufsuchen und im Original betrachten werden, sobald das Museum Wiesbaden wieder öffnet? Ist es ein einzelnes Stück, eine Werkgruppe, oder vielleicht sogar ein Raum? Was verbinden Sie mit Ihrem persönlichen Highlight?
Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns an Ihren Geschichten, Erlebnissen und Erinnerungen teilhaben lassen wollen und freuen uns auf weitere Einsendungen bis zum 11. Mai 2020 an:
sehnsuchtsobjekt@museum-wiesbaden.de
Alle Fotos sofern nicht anderweitig gekennzeichnet: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert