Der 1915 eröffnete Kirchensaal im Museum Wiesbaden ist vom Architekten Theodor Fischer als in sich geschlossenes Raumkompartiment konzipiert worden, um den dort beherbergten, mittelalterlichen Skulpturen Etwas von ihrer ehemaligen sakralen Aura zurückzugeben. Was ist passiert? Ein dunkler Schwarm seltsamer Geschöpfe, angeführt von fledermausähnlichen Wesen, sitzt geballt in Raumecken und umschwirrt vereinzelt oder in Gruppen die Skulpturen.
Mit seiner Keramikserie "Bats and Saints“ (2018–2020) gelingt es Jan Thomas, mit einem Schlag den Raumeindruck vollständig zu verändern. Die knapp 50 Plastiken bringen den Kirchensaal regelrecht auf hohe Betriebstemperatur und schaffen eine Atmosphäre aufgeregter Nervosität. Nachdem der Besucher den ersten Schock überwunden hat, stellt sich ein überraschender Effekt ein: Fast beschützend wandert der Blick zuerst auf die Werke des Mittelalters und bleibt am Walsdorfer Kruzifix aus dem 12. Jahrhundert hängen. Wie durch ein Wunder scheint gerade Christus von der Invasion dieser grotesken Geschöpfe verschont zu bleiben, während Johannes der Täufer (Mittelrhein, gegen 1500) stärker in deren Fokus gerückt ist. Mit seinem labilen Stand, den vor Anspannung zusammengezogenen Augenbrauen, der weisenden Hand und dem geöffneten Mund, der von der kommenden Erlösung durch Christus kündet, wohnt ihm ohnehin eine gewisse Unruhe inne.
Die formalen und inhaltlichen Interaktionen zwischen Skulpturen und Plastiken tragen entscheidend dazu bei, dass sich die anfängliche Irritation wandelt: Es erschließt sich eine gänzlich veränderte Perspektive. Plötzlich fügen sich die Wesen harmonisch in den Raumkontext ein und werden zu regelrechten Wegbegleitern der Heiligenfiguren: Bats and Saints!
Bats and Saints
Die Armee von Eindringlingen veranschaulicht auf eindrucksvolle Weise die tief religiöse Geisteshaltung des Mittelalters. Gerade romantische und gotische Kirchen zeichnen sich durch Skulpturen an Kapitellen und am Außenbau aus, die häufig in Form von Dämonen- und Tierfratzen, als Fabel- oder Höllenwesen verziert gewesen sind. Häufig waren diese Gestaltungen nicht nur obszön und sexuell aufgeladen, sondern sollten bösen Geistern den Einlass in den sakralen Raum verwehren. Es galt die Formel: Je grauenerregender die Darstellung dieser Fantasiewesen, desto mehr Schutz war gewährleistet.
In unserem Kontext hat sich die Situation gewandelt. Die freischwebenden Wesen aus Jan Thomas’ Kosmos treten direkt zu den Heiligenfiguren, umschließen, ja bekrönen sie teilweise regelrecht. Die Intervention im Kirchensaal darf man somit im besten Sinne des Mittelalters verstehen.
Himmel und Hölle
Neben den mittelalterlichen Skulpturen finden sich im Religionsraum zahlreiche mittelalterliche Malereien, deren Darstellung sich ebenfalls ganz im Sinne der Theologie des Bildes thematisch mit der christlichen Heilsgeschichte auseinandersetzen. Die dort künstlerisch-visualisierten Glaubensinhalte treten jetzt ebenfalls in ein Verhältnis mit den skulpturalen Werken von Jan Thomas: Insgesamt thronen hier fünf hölzerne behaarte Mensch-Tier-Hybriden in unterschiedlichen Größen und Ausformungen auf Paletten und hölzernen Sockeln, die den Betrachter wie Boten aus der Hölle das Fürchten lehren. Dank des weichen, naturbelassenen Pappelholzes vermitteln sie entgegen aller Drastik einen Eindruck von Wärme und Leichtigkeit. Jan Thomas gelingt es, ein Panoptikum unserer Alpträume zu gestalten aber er vergisst auch nicht, uns rechtzeitig zu wecken.
Dr. Peter Forster
Kustos Sammlungen 14. bis 19. Jh.