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„Lurchi“
ein Riesenamphib kommt ins Museum

WISSEN & FORSCHUNG

Der Herpetologe und wissenschaftliche Volontär der Naturhistorischen Sammlungen, Dr. Lukas Hartmann, spricht über den chinesischen Riesensalamander "Lurchi" und seine Präparierung.

Riesensalamander repräsentieren die größten lebenden Amphibien der Erde. Von den vier bekannten Arten von Riesensalamandern zeichnet sich insbesondere der chinesische Riesensalamander durch seine enorme Größe von bis zu 180 cm aus. Solche Ausmaße erreichen die Tiere allerdings überwiegend in Gefangenschaft und selten wurden Tiere dieser Größenordnung in freier Wildbahn gesichtet. Das liegt vor allem an der langsamen Wachstumsrate der Tiere, die nur in den ersten 10 Jahren beschleunigt ist und sich mit zunehmendem Alter deutlich verlangsamt. Dadurch erreichen nur sehr alte Tiere solch eine enorme Größe. Die Tatsache, dass sowohl der japanische als auch der chinesische Riesensalamander in ihrer Herkunftsregion als Delikatesse gelten, führte in der Vergangenheit dazu, dass die Tiere massenhaft gefangen wurden, wobei insbesondere größere Individuen von Interesse für die Menschen waren. Deshalb waren die großen Individuen sehr schnell in freier Wildbahn nahezu verschwunden. Heute stehen sowohl der chinesische als auch der japanische Riesensalamander unter strengem Schutz — nachdem die Freilandpopulationen kaum noch existieren.

Die Tiere leben in der Natur in den Zuflüssen großer Flüsse, wie dem Yangtze in China. Hier bevorzugen sie abgelegene Bereiche, welche sich durch eine gute Wasserqualität und einen hohen Sauerstoffgehalt auszeichnen. Dort leben sie einzelgängerisch und sind überwiegend nachtaktive Lauerjäger. Bei der Art ihrer Nahrung sind die Tiere nicht sehr wählerisch und schnappen, am Gewässergrund verharrend, nach vorbeischwimmenden Fischen, Insekten und Würmern, aber auch nach kleineren Artgenossen und anderen Amphibien. Aufgrund ihrer versteckten und nachtaktiven Lebensweise wusste man lange Zeit nicht viel über diese Tiere. Erst mit den Tieren in Gefangenschaft konnte man sie genauer studieren.

Lebender chinesischer Riesensalamander im Prager Zoo (Foto: Petr Hamerník, Zoo Prag, CC BY-SA 4.0)
Lebender chinesischer Riesensalamander im Prager Zoo (Foto: Petr Hamerník, Zoo Prag, CC BY-SA 4.0)

Die Haltung in Aquarien und Zoos hat eine lange Geschichte und begann bereits im frühen 19. Jahrhundert. Es war der deutsche Arzt und Naturforscher Franz von Siebold (1796—1866), der den ersten japanischen Riesensalamander nach Europa brachte, welcher zuerst im Naturkundemuseum in Leiden und später im Zoologischen Garten in Amsterdam der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Es folgten weitere europäische Zoos, die sich ebenfalls mit der Haltung dieser urtümlichen Tiere beschäftigten, wobei in Deutschland die Zoos in Hamburg, Berlin und Leipzig zu den ersten Tiergärten mit Riesensalamandern zählten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelangen dann auch die ersten Nachzuchten dieser Tiere. Heute tragen diese Nachzuchten maßgeblich zum Erhalt der beiden asiatischen Arten bei, da sie, die immer noch große Nachfrage in der asiatischen Küche und der traditionellen chinesischen Medizin unabhängig von Wildfängen machen.

Das gut 170 cm messende Exemplar eines chinesischen Riesensalamanders, welches jüngst in den Naturhistorischen Sammlungen des Museum Wiesbaden abgegossen wurde, stammt ursprünglich aus dem Vivarium in Darmstadt. Dort kam das Tier vor ungefähr 58 Jahren im Alter von ca. 6 Jahren über die Niederlande als vermutlicher Wildfang an und lebte bis zu seinem Tod am 23.06.2019 in einem großzügigen Teich. Sein geschätztes Alter von über 60 Jahren erscheint umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass das Ökosystem des Teiches im Vivarium mit seinem nur leicht bewegten, eher trüben Wasser nicht unbedingt den bevorzugten Lebensraum des chinesischen Riesensalamanders mit klarem und sauerstoffreichem Wasser wiederspiegelt. Mit seiner enormen Größe und einem Gewicht von schätzungsweise 60 kg zu Lebzeiten zählt dieser chinesische Riesensalamander zu den größten bekannten Exemplaren. Es war daher dringend geboten den Körper und das Skelett zu erhalten. Mit seiner Länge von 170 cm ist dies weltweit das größte konservierte Exemplar eines rezenten Amphibs.

Erster Abguss am gefrorenen Riesensalamander (Foto: Bernd Fickert, Museum Wiesbaden)
Erster Abguss am gefrorenen Riesensalamander (Foto: Bernd Fickert, Museum Wiesbaden)

Nach seinem Tod musste das Tier so schnell wie möglich bis zum Transport ins Museum gekühlt werden, da das weiche Gewebe des Riesenamphibs anfällig für eine schnelle Verwesung ist. Im Museum angekommen, musste „Lurchi“, wie er inzwischen vom Team genannt wurde, noch für den Abguss und den Skelettbau vorbereitet werden. Da, anders als bei Vogel- und Säugetierpräparaten, die sehr dünne und feuchte Haut des Riesensalamanders nicht für ein Schaupräparat abgezogen werden kann, wurde von Lurchi eine Abguss-Form angefertigt. Hierzu musste, nach vorsichtigem Auftauen des Präparats, zunächst eine Fixierung des Körpers in einer lebensnahen Position erfolgen. Im Anschluss wurde das fixierte Tier erneut eingefroren.

Präparator Malte Seehausen bei der Feinmodellierung (Foto: Bernd Fickert, Museum Wiesbaden)
Präparator Malte Seehausen bei der Feinmodellierung (Foto: Bernd Fickert, Museum Wiesbaden)

Darauf erfolgte dann das Auftragen von Silikon auf den noch gefrorenen Körper und eine erste Abguss-Form entstand. Ein mit dieser Abguss-Form hergestellter erster Abguss wurde im Anschluss so modelliert, dass zum Beispiel Hautfalten und Zehen des Tieres so exakt wie möglich rekonstruiert werden konnten. Von diesem modellierten ersten Abguss wurde schließlich eine zweite, finale Abguss-Form angefertigt.

Dank dieser entstanden zwei Abgüsse des Riesensalamanders. Einer wird derzeit von den Präparatoren der Abteilung für die Dauerausstellung vorbereitet, wo er ab Juni 2020 im Raum zum Thema „Zeit“ zu sehen sein wird. Der zweite Abguss befindet sich bereits im Vivarium in Darmstadt. Das besondere dieser Abgüsse ist das verwendete Material. Ein Gemisch von Kunstharz und 10 kg echter Bronze kam zum Einsatz — sozusagen ein kalter Bronzeguss.

Dr. Lukas Hartmann, Portrait (Foto: Bernd Fickert, Museum Wiesbaden)
Dr. Lukas Hartmann, Portrait (Foto: Bernd Fickert, Museum Wiesbaden)

Als Herpetologe, dessen Hauptarbeitsgebiet Reptilien und Amphibien sind, war es für mich als wissenschaftlicher Volontär in den Naturhistorischen Sammlungen von besonderem Interesse, an einem solchen Projekt federführend beteiligt gewesen zu sein. Denn trotz ihrer langen Haltungs- und Forschungsgeschichte ist noch längst nicht alles über diese Tiere bekannt. So konnte mit Hilfe genetischer Untersuchungen in den vergangenen Jahren gezeigt werden, dass es noch eine weitere, bisher unbekannte Art von Riesensalamandern gibt, welche jüngst als eigene Art beschrieben wurde. Nicht zuletzt bereichert das imposante Exponat die umfangreiche zoologische Sammlung des Museum Wiesbaden um ein weltweit einmaliges Stück.

Eine große, letzte Frage bleibt nach all der intensiven Arbeit am „Wiesbadener Lurchi“ jedoch noch offen: nämlich sein Geschlecht. Dieses lässt sich nur mit einer Analyse des Erbguts des Tieres eindeutig ermitteln, wozu bereits Gewebe des Tieres zur genetischen Analyse entnommen wurde. In den zoologischen Gärten werden frisch geborene Tiere daher gerne mit geschlechtsneutralen Namen getauft.

Dr. Lukas Hartmann
Wissenschaftlicher Volontär

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