Um seinen CO2-Fußabdruck zu beziffern und Maßnahmen zur Reduzierung ableiten zu können, hat das Museum Wiesbaden im Kontext des Vorhabens „CO2-neutrale Landesverwaltung“ im Zusammenarbeit mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen, dem Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst als zweites hessisches Museum eine CO2-Bilanz erstellt. In Folge der Ausgleichsmaßnahmen hat die Zertifizierungsstelle TÜV-Nord das Museum Wiesbaden für das Jahr 2020 mit dem Zertifikat „Klimaneutrale Organisation“ ausgezeichnet. Die Bilanzierung erfolgte nach dem Greenhouse Gas Protocol, einem internationalen Standard, sowie der ebenfalls international anerkannten Norm DIN EN ISO 14064–1–2019.
„Wir sind sehr erfreut darüber, im Rahmen des Pilotprojektes des Landes Hessen als erstes großes Landesmuseum unseren CO2-Fußabdruck in einer präzisen Datenschärfe ermittelt zu haben. Das Wissen über das Ausmaß der erzeugten Emissionen ist ein wichtiger Schritt für deren konsequente Reduzierung. Die aufwendig ermittelten Werte machen den CO2-Ausstoß unterschiedlicher Kategorien und deren Bedeutung sichtbar. Die Zahlen werden uns helfen, nun gezielte Maßnahmen einzuleiten. Darüber hinaus möchten wir gerne eine breitere Diskussion anregen und teilen die Erfahrung des Erhebungsprozesses. Allen Beteiligten auf diesem unerlässlichen Lernweg gilt mein großer Dank.“
Die Projektkoordinatorin der Bilanzierung, Oksana Katvalyuk, begleitete den Prozess und beschreibt die Herausforderungen und Visionen, die sich dem Museum stellten:
Nachhaltigkeit ist das Leitbild unserer Zeit. Die vielen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen und Nöte weltweit bringen ein enormes Maß an Komplexität mit sich. Die Antworten auf diese werden in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den „Sustainable Development Goals“ (SDGs), mit ihren 169 Unterzielen festgehalten und reichen von Armutsbekämpfung und Verringerung von Ungleichheiten bis zur Begrenzung des Klimawandels. Als Agenda 2030 der Vereinten Nationen wurde das überaus vielschichtige Paradigma bereits 2015 von den UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert. Doch auch wenn die globalen Ziele gesellschaftspolitischer, ökologischer und ökonomischer Natur nachvollziehbar sind, wie kommt die gesamte so unterschiedliche Welt auf einen gemeinsamen Nenner und wie erreicht man diese?
Was das Klima angeht, wurde 2015 das Pariser Abkommen beschlossen. Laut diesem verpflichteten sich 195 Staaten, die anthropogene Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius, in jedem Falle auf deutlich unter zwei Grad Celsius, zu beschränken.
Vor einigen Jahren kam die Digitalisierung auf die Museumswelt zu — damals standen wir vor ähnlichen Herausforderungen. Wir wollten und mussten uns mit einem unausweichlichen Zukunftsthema beschäftigen und neue museale Sphären erobern. Es ging um das Datenmanagement, 3D-Rundgänge, die Online Collection oder Apps. Bis zur Ausschreibung und Besetzung neuer Kompetenzfelder kam es häufig zu den Gießkannen-Projekten mit punktueller Unterstützung seitens der IT- oder Kommunikationsexperten. Inzwischen sind Digital Units in vielen Kulturbetrieben nicht mehr wegzudenken. Doch was ist mit den Sustainability Units, sind sie auf dem Vormarsch? Häufig hört man von Arbeitsgruppen, die aus persönlichem Engagement der Mitarbeiter:innen hervorgehen und davon leben. Eine Klimaneutralstellung dürfte noch heute in den meisten deutschen Kulturhäusern als Teamaufgabe „on top“ laufen. Die Klimabilanzierung als Meilenstein auf diesem Weg sollte als ein Zusammenspiel verschiedener Abteilungen geplant werden, welches über mehrere Monate läuft und einer Koordination bedarf. Für das inhaltliche und methodische Know-How ist Fachexpertise von Umweltmanagern unverzichtbar.
Im Museum Wiesbaden existiert wortwörtlich ein „natürliches“ Interesse an dem Thema — schließlich sind wir ein Zweispartenhaus, für Kunst und Natur. Diese Verbindung stellt ein besonderes Charakteristikum des Museums Wiesbaden dar. Unsere erste Klimabilanz wurde vor dem Beginn des Wasser-Jahres 2022 in Wiesbaden abgeschlossen — und auch im Rahmen dessen kurz vor der Eröffnung der eigenen Sonderausstellung „Vom Wert des Wassers“.
Sie kam dank der Initiative des Landes Hessen im Rahmen eines Pilotprojektes zustande. Realisiert wurde dieses in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen (HMdF), dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) und dem Landesbetrieb für Bau und Immobilien Hessen (LBIH). Bis 2030 strebt Hessen eine klimaneutral arbeitende Landesverwaltung an. Das Ziel wurde 2009 durch die Nachhaltigkeitskonferenz der Hessischen Landesregierung beschlossen und liegt in der Verantwortung des Hessischen Ministeriums der Finanzen. Für die Erfassung der CO2-relevanten Aktivitätsdaten waren die Teams des Museums Wiesbaden sowie des LBIH verantwortlich. Die Beratung und die fachliche Umsetzung übernahm das Unternehmen Arqum, Gesellschaft für Arbeitssicherheits-, Qualitäts- und Umweltmanagement mbH.
Im ersten Schritt einer jeden Klimabilanzierung erfolgt die Operationalisierung bzw. die Wesentlichkeitsanalyse. Es wird abgewogen, welche Daten in welcher Qualität vorliegen bzw. gesammelt werden können. An dieser Stelle werden erstmals die Grenzen der eigenen Handlungsfähigkeit greifbar. Sowohl über unsere Besucher:innen und ihre Mobilität als auch über einige Subunternehmer wissen wir aktuell schlichtweg zu wenig. Eine ganze Menge von Kategorien konnte jedoch als erfassbar identifiziert werden. Neben dem Energieverbrauch für Strom und Wärme, Papier- und Wasserverbrauch wurden u. a. die Kältemittelverluste, die vor- und nachgelagerte Transporte — d. h. Emissionen, die durch den Hin- und Rücktransport von Leihgaben aus oder an andere Museen entstehen, sowie die Arbeitswege der Beschäftigten zahlenmäßig erfasst. Diese Aufgabe ist das Herzstück des Prozesses und sollte nicht unterschätzt werden. Abgesehen von den vielen Standort-Verbrauchswerten, die zentral erfasst werden, sind Leistungen und Waren, ihre Art und Menge eine wichtige Referenz. Doch nicht alle Begleit- und Lieferscheine oder auch Rechnungen enthielten dazu die benötigten Angaben. So musste einiges nachrecherchiert werden. Wir haben Lieferanten und Hersteller kontaktiert und auch zur Waage gegriffen. Schätzwerte sind ebenso in die Bilanz eingeflossen. Die in einem systematisierten Verfahren gesammelten Aktivitätsdaten wurden in einem weiteren Schritt in CO2-Äquivalenzwerte „übersetzt“ und anschließend nochmals auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit durch TÜV Nord überprüft.
Insgesamt wurden rund 588 und 735 Tonnen Treibhausgase ermittelt, die wir 2019 und 2020 emittierten. Die Ergebnisse der THG-Bilanz zeigen, dass unsere Emissionen aus der Wärmeversorgung sowie aus dem vor- und nachgelagerten Transport der Ausstellungsstücke eine hohe Klimarelevanz haben.
Eine Klimaneutralstellung bedeutet per se nicht, dass man alles richtig gemacht hat und machen wird. Die Klimaneutralstellung bedeutet oft, dass die verursachten Emissionen über zertifizierte Klimaschutzprojekte im Ausland kompensiert werden. In unserem Fall wurden in der Höhe der errechneten Treibhausgas-Emissionen mit Emissionsgutschriften über die Deutsche Emissionshandelsstelle Zertifikate für ein Windenergie-Projekt in Costa Rica erworben.
Die Bilanzierung brachte einen bezifferten Erkenntnisgewinn für die Nachhaltigkeits-AG des Museums und für die gesamte Belegschaft. Dadurch erhoffen wir uns mehr Sensibilisierung für das Thema und auch den Ansporn, die Schwachstellen gezielt anzugehen. Auf Grundlage der Bilanz werden wir nun an den konkreten Zielen und Maßnahmen zur Emissionsvermeidung und -verminderung weiterarbeiten. Bei zukünftigen Bilanzen wollen wir außerdem die Datenverfügbarkeit verbessern. All das wird Ressourcen, Strategie, interne und externe Zusammenarbeit erfordern. Zielkonflikte sind dabei unvermeidbar. Dabei geht um solche Fragen wie etwa: Sind die Leihgaben aus fernem Ausland noch vertretbar? Sollte man mehr mit der eigenen Sammlung arbeiten, auch wenn wir ohne die internationalen Exponate womöglich Besucher:innen einbüßen? Können mehr landesweite Wanderausstellungen eine Lösung sein? Sollen wir auf noch mehr Printprodukte verzichten — wissend, dass es nicht wenige Besucher:innen gibt, die die ausschließlich digitalen Informationsangebote ablehnen?
Das nachhaltige Handeln sollte jedoch nicht per se als Verzicht erläutert und interpretiert werden. Es geht vielmehr um bewusstes Handeln. Das nicht nachhaltige Handeln muss gut begründet sein — und was das bedeutet, sollte abgewogen und diskutiert werden.
Wir wiederum gehen bewusst einen Schritt weiter und stellen unsere Treibhausgasbilanz allen Interessierten zur Verfügung — unseren Kolleg:innen, Besucher:innen, Förderern und Kooperationspartnern. Da die Berichte in dieser Datenschärfe (noch) rar sind, freuen wir uns, auf diesem Wege zu mehr Transparenz und Kollegialität innerhalb der bereits bestehenden Netzwerke sowie auch außerhalb dieser beizutragen.