MARIE LUISE GRUHNE

Daedalus misses Icarus

13 Jun 24 — 29 Sep 24

Installation Daedalus misses Icarus, 2024. Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Intervention

Marie Luise Gruhne reduziert die Bildform auf ein Portal, einen Torbogen, der Eintritt in eine andere Sphäre sein könnte — zugleich aber auch das Hier von dem Dortigen trennt.

Während in ihren Gemälden und skulpturalen Objekten das Diesseitige wörtlich im Vordergrund steht, zeigt sie uns in ihrer Video-Arbeit „Daedalus misses Icarus“ die Welt dahinter. Im Durchblick erscheint die Natur, deren Gesetze Ikarus herausfordert und damit letztlich scheitern muss. Eine Natur aber auch, die Ruhe und Gleichgewicht zeigt — wie das Portal, das uns den Blick erst öffnet.

Als architektonische Form ist es seit Jahrtausenden bekannt. Im Gleichgewicht tragen zwei Stützen das lastende Gebälk, Senkrechte und Waagerechte kommen zusammen zur Ruhe. Diese Setzung wirkt bis heute. Im Kontrast dazu erscheint das Portal des Ikarus: mit Federn bedeckt, stark als Struktur, schwebt es im Raum. Stabilität und Destabilisierung begegnen sich, regen an, eine eigene Positionierung einzunehmen.

Ein Portal zeigt an, dass ein besonderer Ort begangen wird. Beim Durchschreiten spüren wir die hohe Wertigkeit, beim Eintreten überqueren wir eine — auch sinnbildliche — Schwelle. Ein einfaches Tor dagegen vermittelt zwischen Davor und Dahinter, ein Stadttor zum Beispiel, oder das Tor eines Gehöftes oder einer Burg, das Außen und Innen, Wildnis und Sicherheit trennt. Ein freistehender Bogen wiederum, zum Beispiel in Form eines Triumphbogens, besteht als eigenständiges Objekt, dass vielmehr umschritten als nur durchschritten werden kann: ein wertiges, ein hoheitliches Symbol. Drei unterschiedliche Erscheinungsformen dieser Bauform – immer jedoch die tragenden Elemente links und rechts, und darüber das lastende, querliegende, getragene Gebälk. Und immer auch die Abhängigkeit der einzelnen Elemente voneinander.

„Kulturübergreifend erlebe ich in diesen architektonischen Strukturen eine Anknüpfung an Wirkungen von etwas zutiefst Naturgesetzlichem, Basis unserer Existenz. In ihnen fokussiert sich die Wirkung des Gesetzes der Schwerkraft, das Tragen und Lasten im Gleichgewicht, urbildhaft sich mir mitteilender Ausdruck von Dauer, Halt und Stabilität.“

Marie Luise Gruhne

Im Blick auf diese Grundform kommt ein Künstler in den Sinn, der die Sammlung des Museums prägt: Alexej von Jawlensky zeigt uns in seinen „Köpfen“ — und auch in der nachfolgenden Serie der Meditationen — ein immer wieder gleiches, in sich ruhendes Motiv. Ein Motiv der Fassung des Irdischen im unteren Teil des Kopfes und einer Öffnung in das Überirdische im Stirnbereich. Die geschlossenen Augen schließlich lasten auf dem Gesicht und geben zugleich die Gedanken frei für das Innere. Der Aufbau dieser Gemälde Jawlenskys bezieht sich nicht auf gebaute Architektur, setzt aber die Anatomie des Gesichtes ein, um mit einzelnen Pinselstrichen ein Bildwerk aus lastenden und tragenden Elementen zu schaffen. Marie Luise Gruhne bezieht sich mit dem Portal des Ikarus auf diese grundlegende künstlerische, und damit auch menschliche Erfahrung.

Die Realisation von Installation und Video wurde ermöglicht durch Unterstützung des Kulturamtes Wiesbaden und der Hessischen Kulturstiftung.

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