Es ist viel geschehen in unserer ständigen Sammlung. Jetzt endlich wird für die Öffentlichkeit sichtbar, was hinter den Kulissen in den vergangenen zwei Jahren geglückt ist: Neuerwerbungen und Schenkungen kamen ans Haus und bereichern ab jetzt die Kunstsammlung des Museums Wiesbaden.
Bevor diese aber präsentiert werden konnten, waren sie für ihren ersten Auftritt vorzubereiten. Von der Restaurierungsabteilung wurden sie gereinigt, verglast und mitunter (in Absprache mit den Kurator:innen) neu gerahmt. Der große Moment für solche Neuzugänge kommt, frisch herausgeputzt, zumeist erst nach Ende einer Sonderausstellung, wenn die Dauerausstellung neu arrangiert wird – auch wenn das Warten manchmal schwerfällt.
Nach Ende der Ausstellungen Frank Stella und Ernst Wilhelm Nay war es nun endlich soweit. Eine Entdeckungsreise lohnt sich, schon allein um zu erfahren, wie die vielen neuen Arbeiten mit den bekannten „Platzhirschen“ wie Alexej von Jawlensky und Ellsworth Kelly zusammenspielen und unsere Schausammlung von jetzt an für alle Zukunft bereichern.
Bevor es aber hineingeht in die Kunstsammlung, lohnt es sich, die Treppe in den ersten Stock zu nehmen. Wer die Stufen hinaufsteigt, geht geradewegs auf das bunt strahlende Glasfenster Adolf Hölzels zu. Dieses seltene Glaskunstwerk des Künstlers, der mit Wassily Kandinsky zu den Pionieren der abstrakten Malerei in Deutschland gehörte, präsentieren wir seit Ende 2022.
Im August 2020 haben wir gemeinsam mit dem Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. das Hölzel-Gemälde „Prozession“ aus der Sammlung Hanna Bekker vom Rath an die rechtmäßigen Erben der von den Nationalsozialisten ermordeten Ernst und Gertrud Flersheim restituiert. Seitdem klaffte eine empfindliche Lücke, da Adolf Hölzel als Lehrer von Hanna Bekker und Vorreiter der modernen Malerei am Beginn des 20. Jahrhunderts für Wiesbaden außerordentlich sammlungsrelevant ist.
Mit dem aus annähernd 650 Glasscheiben bestehenden, 1926 in Stuttgart gefertigten Fenster „Lesende“, das für die Bibliothek des sogenannten „Lauta“-Aluminiumwerks in der Lausitz ausgeführt wurde, konnten wir nun diese glücklicherweise schließen. Das Bemerkenswerte an dem vielschichtigen, sehr kraftvoll leuchtenden Fenster ist, dass sich vor dem Bild diskutieren lässt, ob sich die Welt, so wie wir sie kennen, aus der Neugier des Menschen und dem damit zusammenhängen Forschen und „Lesen“ entwickelt hat oder allein durch den Glauben an Gott und die Heilige Schrift. Der Ort, für den es von Hölzel geschaffen wurde – eine Bibliothek –, legt ersteres nahe, was uns doch sehr beruhigt.
In der Kunstsammlung selbst, lässt sich das große Oskar Moll-Stillleben mit „Matisse-Plastik, Wandschirm und Blumen“, das uns 2020 Dr. Roman Rubin geschenkt hat, ideal mit Gabriele Münter und Natalija Gontscharowa kombinieren – was vor allem daran liegt, dass alle drei Künstler:innen vor dem Ersten Weltkrieg in Paris von Henri Matisse inspiriert wurden.
Wie eng verzahnt unsere Sammlung ist und wie wunderbar ergänzend sich die Neuzugänge einfügen, zeigt sich auch zwei Räume weiter. Hier befindet sich der kürzlich aus dem Nachlass Hanna Bekkers erworbene Bauhaus-Teppich „Hommage à Kandinsky“ der Künstlerin Ida Kerkovius. Hanna Bekker lernte Kerkovius früh in Stuttgart kennen und förderte sie später auf vielfache Weise.
Über sie hat sich Kerkovius schließlich mit Jawlensky befreundet. Indem der starkfarbige konstruktive Teppich, der von ihr nicht nur selbst entworfen, sondern auch selbst gewebt wurde, seinen Platz in direkter Nachbarschaft zu Jawlenskys geometrischen „Abstrakten Köpfen“ findet, schließt sich hier der Kreis.
Aus den Räumen, die der Malerei der Gegenwart gewidmet sind, ist neben Eva Hesse, Ellsworth Kelly, Robert Mangold, Albert Oehlen, Andy Warhol und Gerhard Richter eine Arbeit des amerikanischen Malers Winston Roeth zu erwähnen, die der Künstler anlässlich seiner Ausstellung „Speed of Light“ 2020 dem Museum geschenkt hat. Eine Arbeit auf Holz, die durch die Struktur und des damit unterschiedlich einfallenden Lichts sowie den Wechsel des Betrachter:innenstandpunkts zur vollen Entfaltung kommt.
Am Ende sei noch der Raum mit Werken des De Stijl-Künstlers Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899–1962) erwähnt. Dessen klare konkreten Abstraktionen leuchten stets, gleich ob in der Nationalgalerie Berlin oder im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, wie Juwelen und sind ein bedeutender Schatz unseres Hauses.
Der Künstler, dessen Bilder sehr gesucht sind, schuf lediglich 223 Gemälde. Neun davon befinden sich im Museum Wiesbaden. Der ihm gewidmete Saal wird aktuell durch das große Gemälde eines anderen, kürzlich leider verstorbenen Künstlers in besonderer Weise bespielt.
Dietrich Helms (1933–2022), der mit uns und unserem Haus über drei Jahrzehnte sehr verbundene Objektkünstler, Maler und Zeichner, wird an dieser Stelle durch die erstmalige Präsentation eines seiner seltenen frühen „Rautenbilder“ geehrt. Dieses ist 1956 unter dem Eindruck der kurz zuvor von ihm besuchten Lehrveranstaltung Ernst Wilhelm Nays in der Landeskunstschule Hamburg entstanden und wurde vom Künstler 2018 dem Museum Wiesbaden überlassen.
Helms wird nicht ohne Grund im Kontext von Friedrich Vordemberge-Gildewart gezeigt – er hat nämlich nicht nur dessen schriftlichen Nachlass erforscht, sondern war auch daran beteiligt, dass dieser 1997 von der schweizerischen Stiftung Vordemberge-Gildewart dem Museum Wiesbaden in Gänze (inkl. der Briefwechsel mit so bedeutenden Künstlern wie Hans Arp, Theo van Doesburg oder Piet Mondrian) übergeben wurde.
In der öffentlich zugänglichen Alten Bibliothek des Museums erhellt übrigens seit 2006 ein Zyklus seiner zarten und doch kraftvollen Blindzeichnungen den dunkel gehaltenen Jugendstil-Raum. Dietrich Helms fehlt als Mensch, als Künstler wird er immer ein Teil von uns sein
Dr. Roman Zieglgänsberger