Am 21. März 2024 öffnete die große Sonderausstellung „Der Hase ist des Jägers Tod — Kultur und Natur des südlichen Afrikas“ ihre Türen für Besucher:innen. Doch bis dahin war es ein langer Weg, der eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sammlung und die intensive Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Sammlungsbereiche und Disziplinen erforderte.
Dank der eigenen Sammlungen und weiterer Leihgaben werden weit über 100 Säugetier- und Vogelarten präsentiert. Doch zwei typische Bewohner Afrikas fehlten: eine ausgewachsene Giraffe und ein Afrikanischer Elefant. Eine Ausstellung zum südlichen Afrika ohne diese beiden, war für das Team der Naturhistorischen Sammlungen nur schwer vorstellbar. Zumal in dem fast sieben Meter hohen Raum, der zur Ausstellungsfläche gehört, alle Möglichkeiten zur Präsentation der Tierwelt gegeben sind. Nicht umsonst wird dieser Raum seit 100 Jahren als „Giraffensaal“ bezeichnet, da hier vor langer Zeit bereits eine Giraffe gastierte.
Nun war guter Rat teuer: Der Ankauf oder die eigene Herstellung von Präparaten kam nicht in Frage, da zu teuer oder zu aufwendig und so blieb nur eine Lösung: die Herstellung möglichst lebensechter Modelle. Den Anfang machte die Giraffe. Bereits auf dem Sommerfest 2023 war sie ein echter Hingucker und ein beliebtes Fotomotiv.
Unser neu geschaffener Elefant war allerdings eine noch größere Herausforderung! Auf den künstlichen Körper brachte das Präparationsteam – verstärkt durch die Hilfe unseres Schwesterhauses in Darmstadt – Silikon auf und formte die Falten detailgetreu ab. Im Anschluss wurden noch tausende Haare einzeln eingestochen und der natürliche Staub aufgebracht.Ein weiteres Problem galt dem Gewicht und der Größe: Der Elefant war noch nicht dort, wo er einmal ausgestellt werden sollte. Getrennt von allen vier Beinen und dem Kopf musste der Rumpf den Weg außen um das Museum herum nehmen. Dabei kam schweres Gerät zum Einsatz. Endlich im Untergeschoss angelangt, konnte mit dem Aufbau begonnen werden.
Das große Thema der Afrika-Ausstellung ist die Tier-Mensch-Interaktion, denn einzig hier existieren noch gewaltige Tierherden. Es stellte sich also die Frage, wie das Miteinander von Mensch und Umwelt thematisiert werden könnte – und am besten aus heutiger und historischer Sicht gleichermaßen.
Hier brachte der gute Kontakt zur Goethe-Universität Frankfurt die perfekte Lösung: Am Institut für Archäologische Wissenschaften gibt es einen eigenen Schwerpunkt zur Archäologie Afrikas. Prof. Dr. Peter Breunig, ein Spezialist für die Vielfalt südwestafrikanischer Felsbilder und Verfasser des aktuellsten archäologischen Reiseführers zu Namibia, bot sich als Partner an. Dank ihm und seinem Team konnte der Plan umgesetzt werden, neben den Tieren der Region auch die Darstellung auf vorgeschichtlichen Felsbildern in Szene zu setzen. Hochauflösende Fotoaufnahmen zeigen die Bilder in der Ausstellung in Originalgröße und ermöglichen einen Blick über tausende von Jahre zurück in die Vergangenheit. Die Bildstellen zeigen zwar viele Tiere, aber Afrikas Felsbilder sind auch reich an Menschendarstellungen. Warum diese angefertigt wurden, bleibt unbeantwortet.
Doch nicht nur die Felsbilder der Region sind Bewahrer alter Geschichten – auch die Menschen tradieren Legenden von Generation zu Generation mündlich. Eine der Legenden ist die Geschichte vom Mond und der Häsin, die der Ausstellung ihren Namen gab. Sie stammt von den San, einer der wohl ältesten Gemeinschaften der Welt, die bis zur Ankunft der Europäer weitestgehend als Jäger und Sammler an die wechselhaften Umweltbedingungen der dortigen Landschaften angepasst waren.
Als die mehr als 100 Jahre alte Objekte der San aus der ethnologischen Sammlung des Museums in die Ausstellung integriert werden sollten, fiel im Kuratorenteam eine weitere Entscheidung, die mit der hauseigenen Geschichte zusammenhängt: Es sollte auch die Thematik des Kolonialismus angesprochen werden, die einen massiven Einfluss auf die Interaktion zwischen Mensch und Tier hatte, indem traditionelle Lebensweisen brachial durch die deutsche Kolonialherrschaft verändert wurden.
Dabei kam dem Museum zugute, dass das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst den Landesmuseen seit 2020 Mittel zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zur Verfügung stellt. Dies ermöglicht die akribische Beforschung der an die Naturhistorischen Sammlungen angegliederte Ethnologie. In dieser Ausstellung werden viele Ethnologica aus Namibia vorgestellt: sie wurden im Zeitraum zwischen 1896 bis heute von verschiedenen Personen zusammengetragen.
Ein historischer Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den Aktivitäten des aus Wiesbaden stammenden Missionars Carl Berger, der um 1900 für die Rheinische Missionsgesellschaft in Namibia tätig war und bis zu seinem Lebensende aus seiner Wahlheimat Stücke in seine Heimatstadt übersendete. Dank der von ihm erhaltenen Berichte soll ein Bogen aufgespannt werden: Von der Skizzierung der historischen Gemeinschaften zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft werden die Gäste auch für die Auswirkungen des Kolonialismus und des Genozids an Herero und Nama sensibilisiert. Denn auch über 100 Jahre nach dem Völkermord an diesen Gemeinschaften durch die deutsche Schutztruppe im Jahr 1904 ist die Aufarbeitung der massiven Unterdrückungen davor und der unmenschlichen Repressalien danach noch längst nicht abgeschlossen. Und auch die Wege der Objekte in museale Sammlungen sind in vielen Fällen kaum ausreichend untersucht. Daneben geht es auch darum, wie traditionelle Wirtschafts-, Tier- und Landnutzungskonzepte unter deutschem Einfluss einen massiven und erzwungenen Wandel erlebten und welche Auswirkungen dies bis heute hat.
Es entstand ein Begleitbuch zur Ausstellung, dass wir gerne zum Lesen empfehlen. Auf 80 Seiten kann man rasch und intensiv in diese Zeit zurückgelangen. Frau Alexandra Kafitz hat sich in besonderer Weise um die Transkription und Zusammenfassung verdient gemacht.
Auf dem Weg ins Heute schließt die Ausstellung mit der Präsentation der Reise der Ethnologin Dr. Jutta MacConnell. Als Mitglied der Damara und Expertin für Fragen der modernen Identitätsfindung und der Bewältigung des Kolonialismus führte sie für das Museum Interviews vor Ort. Diese vielfältigen Stimmen sollen dem Besucher das moderne Namibia seit der Unabhängigkeit vor 34 Jahren vor Augen führen. Alltagskultur, Frauenrechte, Naturschutz aber auch immer wieder die Frage nach Verständigung, Aussöhnung und einem gleichberechtigten Miteinander stehen hier im Vordergrund. „Wie kann Versöhnung aussehen“, heißt eine Aktion der Friedrich-Ebert-Stiftung, die gemeinsam mit der Vorstellung eines Projektes in Otjimbingwe den Blick auf das zukünftige Namibia und das zukünftige Deutschland wirft und den Besucher mit dieser Frage aus der Ausstellung entlässt.
Die Ausstellung ist noch bis zum 2. Februar 2025 zu sehen – Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Autoren:
Dr. Hannes Lerp
Kustos Wirbeltiere
Dr. Andy Reymann
Provenienzforscher, Koordinator für das hessische Verbundnetzwerk