Frank Brabant entdeckt ...Karl Otto Hy

17 Feb 23 — 29 Okt 23

Karl Otto Hy, Waldstraße in Wiesbaden, 1935 © Museum Wiesbaden, Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert

Kabinettausstellung

Der Wiesbadener Sammler Frank Brabant wurde anlässlich seines 85. Geburtstags eingeladen, in den Depots des Museums Wiesbaden auf Entdeckungsreise zu gehen.

Aufgefallen ist ihm der völlig unbekannte Karl Otto Hy (1904—1992), der zwischen 1920 und 1937 als Maler in Wiesbaden gewirkt hat. Den Puls der Zeit hat Hy mit seinen neusachlichen Wiesbadener Stadtansichten getroffen — sie wirken klar und poetisch gleichermaßen.



Mediatour in dieser Ausstellung

Karl Otto Hy im Interview 25. Juli 1981

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Stadtansichten von Wiesbaden

„Den müssen wir endlich entdecken …“

Frank Brabant im Gespräch mit Roman Zieglgänsberger


RZ: Lieber Frank, es ist bemerkenswert, wenn man in deinem Wohnzimmer sitzt oder durch eine deiner vielen Ausstellungen geht, wie viele Künstlerinnen und Künstler du über die Jahre und Jahrzehnte für dich und andere entdeckt hast. Und das eigentlich besondere daran ist, dass viele von ihnen erst in den letzten Jahren oder gar erst heute — man denke etwa an die Ausstellung der Mannheimer Kunsthalle zu Hanna Nagel im letzten Jahr, die du schon in den 1990er-Jahren gesammelt hast —, von den Museen und der kunstgeschichtlichen Forschung an den Universitäten zur Kenntnis genommen wurden. Auch ich habe durch dich und deine Sammlung so einige Namen kennengelernt, die mir vorher kein oder nur kaum ein Begriff gewesen sind. — Dieses, dein uns natürlich sehr gut bekanntes Potential als erfahrener Sammler und Entdecker der „zweiten und dritten Reihe-Maler:innen“, der selbst nie in solchen fragwürdigen Kategorien gedacht hat, wollten wir uns zunutze machen und haben dich zu deinem 85. Geburtstag eingeladen, bei uns in den Tiefen unserer Depoträume nach etwas wenig Bekanntem zu suchen. Nach etwas, das wir „betriebsblind“, wie auch wir gelegentlich sind, bislang übersehen haben. Du bist beim „Ziehen der Schienen“ auf Karl Otto Hy gestoßen, den tatsächlich niemand kennt und wir seit Jahrzehnten nicht mehr ausgestellt haben, und bist hängengeblieben. Warum?


Karl Otto Hy, Bildnis Adolf Birk, 1933, Sammlung Frank Brabant. Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert
Karl Otto Hy, Bildnis Adolf Birk, 1933, Sammlung Frank Brabant. Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert

FB: Man muss nur wissen, was ich sammle, was meine Schwerpunkte und Interessen sind. Dann erklärt es sich von selbst, warum ich auf Karl Otto Hy anspringen musste, als ich gesehen habe, dass das Museum Wiesbaden mehrere Arbeiten von ihm besitzt. Übrigens habe ich ihn sogar einmal persönlich kennengelernt. Das war 1987, als im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden eine kleine Ausstellung zu ihm gezeigt wurde [1. Febr. — 7. März 1987]. Bis dahin habe ich ihn eigentlich nur als Architekten — als der er tätig war und sein Geld verdiente — wahrgenommen. Damals hat mich seine gespenstische Fabrikarbeiterin mächtig beeindruckt, die als düsteres Plakatmotiv in der ganzen Stadt hing. Es gab aber nie Werke auf dem Markt, weshalb ich ihn wohl auch nach und nach wieder aus dem Blick verloren und selbst ein wenig vergessen habe.

RZ: Sein künstlerisches Werk ist tatsächlich auch sehr schmal und scheint sich im Kern — obwohl er bis ins hohe Alter sporadisch künstlerisch tätig geblieben ist — auf die 1920er-/1930er-Jahre zu beschränken. Er beginnt expressiv, es gibt Arbeiten, die an August Macke denken lassen, wird dann bald neusachlich, fast naiv, aber eben nur scheinbar naiv. Im ersten Moment wirken seine Stadtansichten denn auch kindlich, fast „suchbildartig“ harmlos, aber steht man länger davor, bemerkt man, dass mit dem zumeist doch sehr grauen Himmel sowie der spürbaren Einsamkeit der kleinen Figuren und Gegenstände stets etwas Unheimliches, uns Verunsicherndes mitschwingt. So ein doppelter Boden, den man erst nach und nach entdeckt, ist ja immer großartig ... Jetzt habe ich schon so eine Ahnung, wie es kam, dass du direkt auf Hy gedeutet hast im Depot und meintest, „den müssen wir endlich entdecken.“ Für Dich war es ja auch überraschend, dass wir ein paar Arbeiten des völlig in Vergessenheit geratenen, beziehungsweise eigentlich noch nie wirklich bekannt gewesenen Künstlers besitzen.

FB: Ja, das war es wirklich! Und meine eigene Sammler-Historie erklärt meine Begeisterung für Hy. Zunächst habe ich hauptsächlich deutschen Expressionismus gesammelt, mein erstes Werk war 1964 ein Holzschnitt von Max Pechstein, den ich im Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath erwarb und in Raten abstotterte. Um Pechstein versammelte ich dann über die Jahre Werke der Dresdner Brücke-Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff, aber auch das weitere Umfeld der Münchner Künstlergruppe des Blauen Reiters. Dann kam, als diese Kunstrichtung in den Preisen vom Kunstmarkt in höchste Höhen getrieben war, nach und nach die Neue Sachlichkeit, der magische Verismus und deren sozialkritisches Potential hinzu. Als Geschäftsführer der Wiesbadener Diskothek „Pussy Cat“ hatte ich immer vielfältige Begegnungen und vertiefte Freundschaften auch mit an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen. Vielleicht war das mit ein Grund, warum ich sehr früh George Grosz, Otto Dix, Jeanne Mammen, Käthe Kollwitz, Gottfried Brockmann oder Rudolf Schlichter gesammelt habe, die gerade die randständigen Menschen ins Blickfeld gerückt und Raum gegeben haben. Dabei ist mir immer schon negativ aufgefallen, dass der Markt sich nur auf einige Künstlerinnen und Künstler innerhalb einer Richtung konzentriert, diese zu entwickeln und auszureizen versucht und viele andere gleich gute einfach unbeachtet lässt. Abgesehen davon war es tatsächlich stets deutlich günstiger Abgründiges zu erwerben, weil, wer hängt sich schon gerne einen „Lustmord“ übers Buffet ins Wohnzimmer — so konnte ich beispielsweise eine bedeutende Arbeit Karl Hubbuchs erwerben, die schon vom Städel Museum in Frankfurt oder vom Centre Pompidou in Paris ausgestellt worden ist.

RZ: Dann kann man das in etwa mit der Entwicklung der Immobilienpreise innerhalb einer Stadt vergleichen. Man zieht in ein Wohnviertel, das sehr charmant, aber etwas heruntergekommen ist — wie ja der Expressionismus nach dem Zweiten Weltkrieg erst allmählich wieder salonfähig gemacht wurde —, und muss sich, nachdem dieses Viertel vom Immobilienmarkt entdeckt und entwickelt, quasi gentrifiziert wurde, ein neues Gebiet, zum Wohnen, zum Sammeln suchen. Trotzdem verliert man natürlich seine alte Liebe nicht aus dem Blick. Du hast beispielsweise mit Alexander Kanoldt oder Adolf Erbslöh zwei Maler in deiner Sammlung, die Expressionismus und Neusachlichkeit miteinander verbinden — beide waren im Umfeld des Blauen Reiters tätig. Kanoldt war dann schließlich sogar Teil der berüchtigten, 1925 zwischen den Weltkriegen in Mannheim organsierten Ausstellung „Neue Sachlichkeit“. Auch Heinrich Kirchhoff, der bedeutende Wiesbadener Sammler in den 1920er-Jahren, hatte diese beiden Aspekte der Avantgarde verfolgt — er hatte sogar einmal den berühmten „Streichholzhändler“ von Otto Dix [heute Staatsgalerie Stuttgart] einige Wochen in seiner Jugendstilvilla in der Beethovenstraße 10 zur Ansicht, entschied sich dann aber für ein George Grosz-Gemälde. Um nicht zu weit abzuschweifen, auch Karl Otto Hy verbindet zwei Steckenpferde deiner Sammlungsstrategie, neusachliche Präzision und Wiesbadener Verbundenheit. Wann ist dir bewusst geworden, dass Du gerne ein Werk von ihm besitzen würdest?

Karl Otto Hy, Anna, 1932, Sammlung Frank Brabant. Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert
Karl Otto Hy, Anna, 1932, Sammlung Frank Brabant. Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert

FB: Das hatte ich vorhin noch gar nicht erwähnt. Für mich waren immer auch die in der Region ansässigen Künstler relevant. Natürlich Alexej von Jawlensky, der 20 Jahre hier gelebt hat von 1921 bis 1941. Aber neben diesem großen, weltweit bekannten Künstler gab es auch viele andere Maler, die es zu entdecken galt und gilt — wie Karl Otto Hy, einer der wohl unbekanntesten der hiesigen Künstlerschaft.

Über die Jahre habe ich Arbeiten von Josef Eberz, Alois Erbach, Conrad Felixmüller, Walter Jacob, Ida Kerkovius oder Otto Ritschl erworben, die alle auf die eine oder andere Weise eng mit der Rhein-Main-Region verbunden sind.Und um deine Frage zu beantworten, ich wusste schon lange um das große Karl Otto Hy-Porträt „Anna“ in der berühmten Sammlung des griechischen Reeders George Economou, das dieser wohl 2008 auf einer Auktion bei Ketterer in München erworben hatte. Und irgendwie ist mir klargeworden, dass dieser Wiesbadener Künstler noch immer in meiner Sammlung fehlt, er gehört mit Alois Erbach und Otto Ritschl zu den spannenden Wiesbadener Malern der Neuen Sachlichkeit — für mich eine empfindliche Lücke. 2018 war diese großartige „Anna“ in London in der Ausstellung „Magic Realism. Art in Weimar 1919—33“ der Tate Modern zu sehen. Der Stachel im Fleisch des ewigen Sammlers in mir wurde damit nicht weniger spürbar, wie Du Dir vorstellen kannst.

Merkwürdigerweise ist das Bild 2020 und 2021 zweimal öffentlich angeboten worden — und, das glaubst Du nicht, das erste Mal habe ich es glatt übersehen, aber viele andere haben den Wert des Porträts auch nicht erkannt, vermutlich allerdings nur, weil sie nicht wie ich in Wiesbaden sitzen und Karl Otto Hy schlicht einfach keinen Namen hat.

2021 hat es dann aber beim zweiten Anlauf geklappt und mein erster Hy war plötzlich in der Sammlung. Inzwischen sind es übrigens fünf Arbeiten, die ich von ihm besitze, eine Rheinansicht in Pastell sowie drei Porträtzeichnungen in Bleistift sind inzwischen noch dazugekommen. Ich habe gerne mindestens drei Werke einer Künstlerin oder eines Künstlers, weil ich immer eine gewisse Breite abbilden können möchte. Alle fünf Arbeiten sollen übrigens später einmal auch zu Euch in Museum kommen, da wo sie hingehören.

Karl Otto Hy, Bildnis eines Mannes, 1933. Privatsammlung Wiesbaden. Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert
Karl Otto Hy, Bildnis eines Mannes, 1933. Privatsammlung Wiesbaden. Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert

RZ: Vielen Dank! Ich kann mir übrigens unsere Betriebsblindheit gegenüber dem Künstler schon erklären, also warum Karl Otto Hy in den letzten 50 Jahren im Museum Wiesbaden schlicht übersehen wurde. Man darf nämlich nicht vergessen, dass sich die Rolle des Museums von Grund auf gewandelt hat. Bis 1973 waren wir ein städtisches Museum und die Aufgabe eines solchen ist es, etwas salopp formuliert, Kunst und Kultur seines heimischen „Schrebergartens“ zu bestellen. Das heißt, man zeigt und kümmert sich um Kulturgut vornehmlich, weil es an diesem Ort entstanden ist. Das ist freilich nicht das einzige, aber das erste Kriterium eines Stadtmuseums. Als Landesmuseum hingegen, das wir am 1. Januar 1973 geworden sind, haben wir einen anderen Auftrag — als solches bewahren wir Kunst- und Kulturgegenstände, die mit dem Region Hessen und also mit einem deutlich weiter gefassten Rahmen zu tun haben. Zwingend ist hierbei, dass das Bewahrte zudem über die Landesgrenzen hinaus Bedeutsamkeit besitzt und überregionale, im besten Fall internationale Wirkung entfaltet beziehungsweise entfaltet hat. Hy ist mit den beiden Gemälden „Straßenbaustelle“ und „Luxemburgplatz“ 1958 sicherlich zunächst allein unter der Prämisse regionaler Wiesbadener Künstler in die damals „Städtische Galerie“ gekommen. Man hat über die Qualität der Bilder im Verhältnis zu seinen nationalen Künstler:innen seiner Zeit vermutlich gar nicht so viel nachgedacht. Sehr wahrscheinlich waren die Motive und die typografische Verortbarkeit entscheidend für die Ankäufe.

Als sich die Rolle des Museums änderte, war Hy zwar noch da, aber er scheint aus der neuen Landesmuseums-Perspektive herausgefallen zu sein und ist in der Folge in den Magazinen verschwunden.

Jetzt hat sich allerdings etwas geändert in den letzten Jahren. Wir wissen seit 2017, dass durch deine großartige Stiftung mit dem Schwerpunkt Neuer Sachlichkeit, der bislang in unserem Museum nahezu irrelevant war, diese Kunstrichtung in Zukunft in unserer ständigen Präsentation einen festen Platz haben wird. Und unter dieser neuen Prämisse geht man ganz automatisch seine eigenen Bestände nochmal durch mit der neuen Fragestellung, ob es nicht auch neusachlich arbeitende Künstlerinnen oder Künstler gab, die aus Wiesbaden stammten — und befragt erstmals deren Qualität im überregionalen Kontext. Und was soll man sagen, Alois Erbach, Otto Ritschl und Karl Otto Hy sind drei Künstler, die sich in diesem Vergleich keineswegs verstecken müssen und bei uns der Link von den überregionalen Größen Dix, Grosz, Kollwitz, Mammen oder Schlichter. Inzwischen haben wir in den letzten Jahren aufgrund der gewandelten Zukunftsperspektive sowohl von Erbach als auch von Hy wichtige Arbeiten hinzuerworben, ohne sie bislang gezeigt zu haben. Dass ein erster „Auftritt“ von Karl Otto Hy aber schon so bald kommen sollte, damit habe ich nicht gerechnet. Das ist allein Dir zu verdanken.

FB: Als ich mit dir im Magazin des Museums gewesen bin, hat es mich, als ich gesehen habe, dass ihr Karl Otto Hy besitzt, wie der Blitz getroffen, und als du mir bei dieser Gelegenheit erzählt hast, dass ihr wegen mir Hy in den letzten Jahren gesammelt habt, hat mich das tatsächlich berührt.


RZ: Das freut mich, lieber Frank, und übrigens nochmals vielen, vielen Dank für die Ankündigung, dass Deine Hy-Arbeiten ebenfalls, wie große Teile deiner Sammlung, später einmal zu uns kommen sollen und vielen, vielen Dank auch für das schöne, wie immer, sehr kurzweilige und vor allem erkenntnisreiche Gespräch.

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