KörperGeometrie

Ilse Leda und Friedrich Vordemberge-Gildewart

26 Sep 25 — 8 Feb 26

Die jüdische Tänzerin und Choreografin Ilse Leda und der konstruktiv arbeitende Künstler Friedrich Vordemberge-Gildewart lernten sich um 1925 im dadaistisch geprägten Hannover im Umfeld von Joachim Ringelnatz und Kurt Schwitters kennen. Während ihre Karriere aufgrund des Nationalsozialismus 1937 abriss, konnte Vordemberge-Gildewart verborgen im niederländischen Exil weiterarbeiten. Dass Ledas Einfluss auf seine Werke ab diesem tragischen Punkt ihrer Beziehung größer war, als bisher angenommen, ist Thema der  Kabinettausstellung, die die Geschichte einer großen Liebe zweier künstlerisch eng verbundener Menschen erzählt.

Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899—1962), als Künstler mit den Größen seiner Zeit verbunden, und Ilse Leda (1906—1981), Tänzerin, Tanzpädagogin und Choreografin, lernten sich kennen, als die internationale Avantgarde der konstruktiven, ungegenständlichen Abstraktionen, mit ihr neue, klare Formen der Fotografie, des Films und des Tanzes in Hannover Station machten. Beide waren tief beeindruckt von der großen Utopie einer durch klare Gestaltung und Schönheit verbesserten Welt. Sie nahmen diese Prinzipien für sich an, auch als Ausdruck ihres Denkens und Arbeitens — durch die Zeiten des Aufbruchs, der Emigration nach Amsterdam und des Ankommens bei einer sehr persönlichen Kunst aus formaler Reduktion und brillanter Farbigkeit, aus Leichtigkeit und tiefer Menschlichkeit. Einfühlsame Texte und eindrucksvolle zeitgenössische Fotografien zeichnen ein respektvolles Miteinander zweier Künstler auf Augenhöhe, die sich gegenseitig unterstützen und inspirierten: Sie spiegeln das Bild einer großen Liebe, die alle Brüche dieser Zeit überdauert hat.

Ilse Leda, fotografiert von Hugo Erfurth, anlässlich ihrer Heirat 1932 mit Friedrich Vordemberge-Gildewart, Museum Wiesbaden
Ilse Leda, fotografiert von Hugo Erfurth, anlässlich ihrer Heirat 1932 mit Friedrich Vordemberge-Gildewart, Museum Wiesbaden
Friedrich Vordemberge-Gildewart
Friedrich Vordemberge-Gildewart

Ilse Leda und Friedrich Vordemberge-Gildewart
Eine ortsbezogene Doppelbiografie

zusammengestellt von Arta Valstar-Verhoff und Roman Zieglgänsberger

Von Osnabrück nach Hannover ǀ 1899—1919

Friedrich Vordemberge wurde am 17. November 1899 in Osnabrück geboren, Ilse Leda am 15. Mai 1906 in Hannover. 1918 schloss Vordemberge die Schreinerlehre im Betrieb seiner Eltern ab und zog ein Jahr später nach Hannover, um an der Kunstgewerbeschule und der Technischen Hochschule Innenarchitektur zu studieren, zugleich war er bildhauerisch im Privatatelier von Professor Ludwig Vierthaler tätig. Leda schloss 1924 die Schule ab, begann im elterlichen Unternehmen in der Sedanstraße 47 eine kaufmännische Ausbildung.

Hannover ǀ 1919—1936

Um 1925 lernten sich Ilse Leda und Friedrich Vordemberge-Gildewart im Umfeld der Kestner Gesellschaft (Königstraße 8) kennen, wo der inzwischen konstruktivistisch frei arbeitende Maler ab 1924 ein Atelier gemietet und die Gruppe K gegründet hatte. Von ihrem gemeinsamen Freund Kurt Schwitters wurde in einem Gästebucheintrag für Leda der Kosename »DADÁ« — wie Vordemberge-Gildewart sie fortan privat nennen sollte — ›festgeschrieben‹. 1927 begann Leda bei Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg ihre Ausbildung zur Tänzerin und Tanzpädagogin und eröffnete 1929 ihre erste Tanzschule (Königstraße 50a) gegenüber der Kestner Gesellschaft, mit der sie 1930 in den Gebäudekomplex der Eltern umzog (Sedanstraße 47) — für beide Tanzstudios entwarf Vordemberge-Gildewart Werbematerial. Im selben Jahr zog der Maler in ein neues Wohnatelier (Lister Straße 24), wo das Paar nach seiner Eheschließung am 29. Juni 1932 erstmals offiziell zusammenwohnte. Ilse Leda behielt ihren Namen nach der Hochzeit bei. Friedrich Vordemberge hatte seinen bereits zu Beginn der Hannoveraner Zeit mit dem Namenszusatz »Gildewart«, dem Straßennamen seines Geburtshauses in Osnabrück, ergänzt — um sich von seinem bis dahin gleichnamigen, ebenfalls malenden Cousin abzusetzen.

Berlin ǀ 1936—1938

Der Umzug des Paares nach Berlin im Frühjahr 1936 — Hannover als Nukleus der deutschen Dada-Bewegung stand bald im Fokus der Nationalsozialisten – wurde durch die größere Anonymität in einer Metropole erklärt. In Berlin trat Ilse Leda noch bis August 1937 mit der Ersten Jüdischen Tanzgruppe auf, allerdings jetzt unter dem Namen Ilse Vordemberge. Als Wohn- und Tanzstudioadresse ist »Bleibtreustraße 25, Berlin W 15« überliefert. Nachdem Friedrich Vordemberge-Gildewart auf der Berliner Station der Ausstellung Entartete Kunst vertreten war (26.2.—8.5.1938) und nun ebenfalls unter Beobachtung stand, wurde die Flucht des Paares — einer Jüdin und eines verfemten gegenstandslos arbeitenden Malers — notwendig. Sie gelang, weil man eine Ausstellungsbeteiligung Vordemberge-Gildewarts im Stedelijk Museum in Amsterdam mit dem unauffälligen Transport der privaten Habseligkeiten verband.

Amsterdam ǀ 1938—1954

In Amsterdam wohnte das Paar ab 1938 zunächst in der Lekstraat 138/I. Während Vordemberge-Gildewart im Untergrund verbotenerweise malte und Typografieaufträge ausführte, konnte Ilse Vordemberge-Leda, wie sie sich seit dem Umzug nach Amsterdam offiziell nannte, ihrer Profession nicht mehr nachgehen. Sie arbeitete als Sekretärin in der ›Expositur‹ des Joodsche Raad voor Amsterdam, ließ sich 1940 taufen und wurde 1943 vom Tragen des Judensterns befreit. Materialien im Archiv Vordemberge-Gildewart des Museums Wiesbaden (u. a. Passfotos von bis heute nicht identifizierten Menschen) und die enge Verbindung des Paares zum Widerstandskämpfer, Verleger und Drucker Frans Duwaer legen nahe, dass Leda in Amsterdam nach der Besatzung durch die Nationalsozialisten, geschützt durch ihre ›geglätteten‹ persönlichen Unterlagen, die unauffällige Position nutzte, um Jüdinnen und Juden mit gefälschten Pässen zur Flucht zu verhelfen. 1943 zog das Paar in die Nicolaas Maesstraat 22 im Stadtteil Oud-Zuid. Fünf Jahre nach Kriegsende gaben Leda und Vordemberge-Gildewart die deutsche Staatsbürgerschaft auf und erhielten niederländische Pässe.

Ulm ǀ 1954—1963

Aufgrund der Berufung Vordemberge-Gildewarts zum Leiter der Abteilung für Visuelle Kommunikation durch Max Bill an die neu gegründete Hochschule für Gestaltung zog das Paar 1954 nach Ulm, zurück nach Deutschland. Sie lebten auf dem Campus der HFG und unter der Adresse Am Hochsträß 24. Dies ist der letzte gemeinsame Lebensort des Paares. Vordemberge-Gildewart starb am 19. Dezember 1962 in Ulm. Sein Werk umfasst neben den 223 freie Kompositionen, zahlreiche typografische sowie bauzeichnerische Entwürfe, Zeichnungen, Aquarelle, Collagen und einige wenige Druckgrafiken.

Stuttgart und Rapperswil ǀ 1964—1981

Etwa ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes zog Ilse Leda, die sich nun wieder mit ihrem Geburtsnamen rufen ließ, nach Stuttgart (Hauptmannsreute 46b). Von dort aus koordinierte sie den Neubau einer modernen Villa in der Schweiz (Rapperswil, Rütistrasse 44), wohin sie 1971 übersiedelte. 1977 regt »Ilse Engelina Vordemberge (geb. Leda), Künstlerin und Witwe Vordemberge-Gildewarts« die »Gründung der Stiftung Vordemberge-Gildewart« an. Mit ihrem Tod am 5. Oktober 1981 wurde die Stiftung zur Förderung junger Künstlerinnen und Künstler sowie zur Unterstützung der Forschung über den Künstler ins Handelsregister des Kantons St. Gallen mit Sitz in Rapperswil eingetragen. Bis heute sind europaweit — unter anderem in Deutschland, England, Italien, Österreich, Niederlanden, Polen, Schweiz — 41 Stipendien vergeben worden.

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