Mit der Neupräsentation der Sammlung der Alten Meister im Museum Wiesbaden hat eine künstlerische Intervention Einzug gehalten. Die von Thomas Lüer eigens für diesen Ort entwickelte Audioinstallation „COPIA“ erweitert den Raum durch Klang und Echo. Sie lädt die Besucherinnen und Besucher ein, die Sammlung der Alten Meister nicht nur visuell, sondern auch akustisch neu zu entdecken.
Thomas Lüer richtet in seinem situationsspezifischen Arbeiten den Blick auf ästhetische, historische und soziale Orte, befragt ihre Strukturen wie die Mechanismen unserer Wahrnehmung. Ihm ist dabei weniger an einem dokumentarischen oder wissenschaftlich-analytischen Zugriff gelegen, vielmehr geht es darum, subkutane Brüche und Differenzen aufzuspüren und künstlerisch fruchtbar zu machen.
Lüers Arbeiten sind Gratwanderungen, in denen Aspekte von Nähe und
Distanz, Privatheit und Öffentlichkeit, Alltäglichkeit und Inszenierung
ineinander geblendet werden. Vertraut und fremd zugleich erscheinen sie
als ambivalente, offene Situationen, in denen sich der Betrachter stets
neu zu verorten hat.
Jörg Daur: Als Künstler der Gegenwart hast Du Deine Arbeit im Kontext der historischen Kunst präsentiert. Welche Bezüge entstehen für Dich dort?
Thomas Lüer: Während des Aufenthaltes im mythologischen Saal der „Alten Meister“ geraten die Besucherinnen und Besucher mittels der dort präsentierten Gemälde mit ihrer historischen Bildsprache unwillkürlich in einen zeitlichen Sog in Richtung Vergangenheit. Möglicherweise werden sie dabei zu Zeugen eines akustischen Ereignisses, eines Echoeffektes, der sie unmittelbar nicht nur allgemein in die Gegenwart, sondern ihre eigene Gegenwart zurückholt.
Jörg Daur: Das heißt, für Dich stehen nicht zuallererst die konkreten inhaltlichen Bezüge zwischen Deiner Arbeit und den religiös-mythologischen Werken im Raum im Vordergrund, sondern die generelle Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, von Projektion und Realität?
Thomas Lüer: Ja, denn das Vernehmen der eigenen Stimme rückt plötzlich und unerwartet in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ein Bruch im Kontinuum des Erwartbaren. Etwas, das bis dahin nicht möglich war oder schien, wird mit einem Mal möglich.
Jörg Daur: „Herausgerissen“ aus der erwarteten Museumserfahrung kommen dann aber doch inhaltliche Bezüge zum Tragen?
Thomas Lüer: Genau! Denn so gegensätzlich die im Saal erfahrbaren Phänomene in ihrer Materialität, der dauerhaften Artefakte einerseits und dem ephemeren Widerhall andererseits – aber auch in den Darstellungen von fast überdeutlicher Körperlichkeit im Gegensatz zur „körperlosen“ Nymphe Echo – erscheinen mögen, so treffen sie sich doch auf der Ebene des Allegorischen: denn dort ist die Nymphe Echo immer auch als Sinnbild des auf die Nachahmung der Natur verpflichteten Kunstschaffens verstanden worden.
Jörg Daur: Nun nennst Du Deine Arbeit aber nicht ‚Echo‘, sondern ‚Copia‘, wie ist das zu verstehen?
Thomas Lüer: Mit Echo und Narziss führen die Metamorphosen Ovids, Spiegelung und Widerhall als zwei Modi der Wiederholung und der Doppelung zusammen. Echo verfügt nicht über die Rede, sondern ist von der Rede der anderen und damit von deren Zutun abhängig. Sie verdoppelt am Ende des Redens die Stimmen und lässt die gehörten Worte zurückkehren. Der Mythos verhandelt den Schlüsselbegriff ‚copia‘ das Thema des Verfügens und Beherrschens (bzw. seiner Unmöglichkeit) und besonders im Narziss-Mythos außerdem den Wunsch nach Reduplikation / Kopie („Könnte ich mich doch von meinem Körper lösen“).
Jörg Daur: Heutzutage ist eine Kopie (und da spreche ich nicht nur vom künstlerischen Kontext) aber doch eher nicht von der gleichen Wertigkeit, wie das Original …
Thomas Lüer: Der Begriff der Kopie ist in der Frühen Neuzeit noch keinesfalls so durchweg negativ besetzt wie in der Moderne, vielmehr ist er noch viel deutlicher ein Echo seiner lateinischen Wurzel ‚copia‘: Im Wort steckt die etymologische Wurzel des Reichtums, der Fülle; eine Kopie ist mithin erst einmal eine Bereicherung und gerade kein platter Abklatsch.
Jörg Daur: Vielleicht kommen wir im digitalen Zeitalter ja wieder dahin: Viele Werke bestehen ja nur noch als Kopien (Stichwort: digitale Verfügbarkeit), was wiederum ganze neue Fragen des Urheberrechts aufruft. Dies betrifft übrigens auch das klassische Echo, das wir heute in jeder Sprachnachricht und im übertragenen Sinne auch in jedem Selfie, auf jeder Spiegelung des Displays wiederfinden.
Thomas Lüer: Ich würde da sogar noch einen Schritt weiter gehen: Mit dem Schwinden der Echo-Faszination seit seiner technischen Reproduzierbarkeit tritt in jüngster Zeit eine neue, narzisstische Echo-Applikation in den Vordergrund: Alexa, die Stimme von Amazons Echo. Mit ihr bricht ein neues Zeitalter der Medienphantasie an, das zugleich in die Tiefe der Geschichte zurückreicht und die von dort herkommenden Traditionen neu funktionalisiert.