„Es kommt der neue Fotograf“ diesen Titel trägt das 1929 erschienene Handbuch zum Fotografieren von Werner Graeff. Die erste Auflage von 5000 Stück war schnell vergriffen. Zu einer zweiten Auflage kam es nicht. Nur eine Neuauflage mit einem aktualisierten Vorwort erschien kurz vor Werner Graeffs Tod im Jahr 1978.
Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit Werner Graeffs mit dem Werkbund und seiner Tätigkeit als „Propagandachef“ für die Weißenhofausstellung (mehr Informationen dazu im Blogbeitrag von August 2023), wurde Graeff damit beauftragt ein praktisches Handbuch für die Werkbundausstellung Film und Foto 1929 in Stuttgart zu verfassen. Dafür entstand das eingangs erwähnte 126 Seiten und mit zahlreichen Abbildungen versehene Buch.
Dies mag wohlmöglich seine Leidenschaft für Fotografie entfacht haben. Gewiss ist, dass die Fotografie ihn seit diesem Zeitpunkt nicht mehr losgelassen hat. Bereits ein Jahr später veröffentlichte er eine weitere Publikation „So sollten Sie fotografieren lernen: ein Foto-Lehrbuch für Anfänger“.
1930 wurde Graeff Dozent für Fotografie an der Reimannschule in Berlin und ab 1931 Leiter des Fotostudios. Eine Anzeige in der Monatszeitschrift der Schule verweist auf ihn mit dem Hinweis: "Vollausbildung zum Berufsfotografen. Abendkurse für Maler, Zeichner, Werbe- und Presseleute, Kunstgewerbler".
Wegen des hohen Zulaufs in seiner Klasse kündigte Graeff zum Jahresende 1932 und gründete zum Jahresanfang 1933 seine eigene „Berliner Fotoschule“ (Tauentzienstraße 3), die aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten bereits ein Jahr später wieder geschlossen werden musste. Graeff emigrierte 1934 nach Spanien und war dort weiterhin als Fotograf tätig. Nachdem in Spanien der Bürgerkrieg 1936 ausbrach, floh Graeff mit seiner Frau und seinem Sohn in die Schweiz, wo er 1940 gemeinsam mit der Schweizerin Anne de Montet die „Fotoschule Locarno“ eröffnete. Dafür schrieb er 1942 ein weiteres Foto-Lehrbuch „Kamera und Auge“.
Dieses Buch basiert auf seinem Unterricht als Dozent für Fotografie seit der ersten Tätigkeit an der Reimannschule: „Was bei mir (…) gelehrt wurde, enthält mein Buch Kamera und Auge.“ (Zitat aus Brief WG an Hans Maria Wingler, Gründer des Bauhaus-Archivs, mit Informationen zur Reimann Schule vom 10.05.1977, S.2; z.Z. archiviert unter 15a_1_1 Graeff Archiv).
Parallel zu seiner Fotolehrtätigkeit beschäftigte er sich intensiv mit der Entwicklung seiner eigenen Kleinkamera „Graeff“. Er reichte zwischen 1942–1954 verschiedene Patente zu seinen Erfindungen rund um die Fotografie ein, erhielt aber letztendlich nur ein Patent für die Erfindung "Photographische Aufnahmeeinrichtung für Kleinbilder“.
Er suchte und überzeugte Investoren, damit er seine Kleinkamera Graeff weiter entwickeln konnte. 1947 gründete er die "Graeff Camera Company" und unterzeichnete einen Investorenvertrag über die Herstellung und den Vertrieb einer "Taschenkamera". Diverse Komplikationen brachten die seiner Zeit weit vorausgreifenden Entwicklung allerdings nicht zur Marktreife – es blieb bei verschiedenen Prototypen der Kleinkamera. Mit diesen Prototypen hat Graeff Fotos gemacht, entwickelt und anschließend vergrößert.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland leitete er von 1951–1959 die freie und angewandte Fotografieklasse an der Folkwang Werkkunstschule in Essen. Mit dieser Anstellung und dem intensiven Aufleben seiner Malerei, die er all die Jahre nicht verfolgt hatte, lag der Fokus nun nicht mehr auf der Fotografie. Ein weiteres Fotobuchprojekt („Das praktische Fotobuch“, Reihe: praktische Ratgeber, Bertelsmann Verlag, geplant für 1956) scheiterte an zeitlichen Gründen.
Was von Graeffs Fotografie bleibt, sind seine Porträts, in denen er stolz seine Kleinbildkamera zeigt sowie seine erfrischenden Lehrbücher, die ein Zeugnis dieser Epoche des neuen Mediums der Fotografie für den Laien verständlich machen. Nicht ohne Grund wurde sein ausverkaufter Klassiker von 1929 Jahre später in einer Neuauflage gedruckt. Es hat bis dahin nichts an seiner Aktualität verloren.
Autorin:
Jessica Neugebauer-Boscheck
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Kosmos Werner Graeff“