3 Mär 23 — 23 Jul 23
Oskar Zwintscher, Selbstporträt, 1900. © Kunsthalle Bremen — Der Kunstverein in Bremen. Foto: Marcus Meyer
Rainer Maria Rilke an Oskar Zwintscher, 18.5.1902
Wer war dieser Künstler, der mit seinen ungewöhnlichen Bildern zu Lebzeiten große Anerkennung aber auch heftige Ablehnung erfuhr?
Lange wartete sein Werk auf eine grundlegende Neubewertung.
Die Ausstellung präsentiert den sächsischen Maler und Grafiker im Kontext seiner Zeit und verschiedener Weggefährt:innen. In Zwintschers Arbeiten spiegeln sich jene Übergänge und Umbrüche, die ihn zwischen Tradition und Modernität verorten lassen. Vom Symbolismus über den Jugendstil bis zum Vorgriff auf dieNeue Sachlichkeit spannt sich in seiner recht kurzen künstlerischen Schaffensperiode ein eindrucksvoller Bogen, der in der Ausstellung sichtbar gemacht wird und die Aktualität seiner Bilder hervorhebt.
Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
Weitere Kooperationspartnern sind die Hochschule für Bildende Künste Dresden, die Städtische Galerie Dresden und das Kupferstich-Kabinett/SKD.
(ff., in: Dresdner Nachrichten. Abendausgabe, Nr. 232, 21. 8. 1904, S. 1)
Im Bildnis vollendete sich Zwintschers Meisterschaft — er verstand es hervorragend, durch Vereinfachungen in den Kompositionen die Aufmerksamkeit auf das Gesicht und vor allem auf die Augen zu lenken. Die sehr genau beobachteten Köpfe und Hände sind allerdings nicht in altmeisterlicher Technik in Schichten aufgebaut, sondern direkt in so genannter alla prima-Technik ausgeführt.
Bereits von seinen Zeitgenossen wurde Zwintschers Bildnissen eine gewisse Strenge und Kühle nachgesagt; der Maler ordnete seine Bilder in klaren, zuweilen geometrisierten Formen, häufig in vertikaler Linienbetonung und mit Bezug auf Ornamente. Neben repräsentativen Damenbildnissen, die auch großbürgerliche Salons zieren konnten, entstanden sehr private Bildnisse, in denen mitunter Spuren des Alters kaum idealisiert und ungeschönt dargestellt sind.
Die Beschäftigung mit der Landschaft nahm in Zwintschers Werk neben der Porträtkunst einen wichtigen Platz ein. In jungen Jahren begann er mit impressionistisch aufgelösten Szenen, experimentierte jedoch mehr und mehr mit der Betonung der Fläche und klaren Strukturen in seinen Landschaften. Besonders Frühlings- und Sommermotive — häufig in starken Hochformaten und leuchtenden Farben — stehen symbolisch für Aufbruch, hoffnungsvollen Beginn, Jugend und Wachstum. Die landschaftlich reizvolle Umgebung entlang des Elbtals bildete einen idealen Nährboden für die stilistische Entwicklung des Künstlers. In der mittelalterlich geprägten Stadt Meißen fand der junge Zwintscher, nach seiner Akademiezeit in Dresden, zu einer markanten, in Farbigkeit und Linienschärfe modernen Bildsprache. Zu Beginn jener Jahre zwischen 1893 und 1903 lernte er seine Frau Adele kennen, die ihm fortan eng zur Seite stand — auch als sein wichtigstes Modell.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden mit der Berufung neuer Professoren, darunter Leon Pohle, erste Bemühungen sichtbar, die überholte Lehre an der königlich sächsischen Akademie der bildenden Künste in Dresden zu erneuern. Insbesondere Pohles realistische Porträtmalerei fand in Zwintschers Werk deutlichen Nachhall. Zeitgleich mit Zwintscher studierten in Dresden Richard Müller, Sascha Schneider und Georg Lührig. Ab 1903 wurde Oskar Zwintscher selbst Lehrer an der Akademie und prägte mit seiner liberalen Haltung gegenüber der freien Stilwahl der Studierenden seine Lehrtätigkeit und eine ganze Künstlergeneration.
Zwintscher, Müller, Schneider, Lührig und Hans Unger bildeten eine lose Gruppierung junger Künstler, die von einem Kritiker „Phalax der Starken“ genannt wurde und „die um die Jahrhundertwende Dresdens Kunst bedeutete“.
Seit 1903 unterrichtete Oskar Zwintscher an der Dresdner Kunstakademie. Bei den Studierenden war er sehr beliebt. Neben dem Naturstudium und der altmeisterlichen Schulung prägte auch eine liberale Haltung gegenüber der freien Stilwahl der Studenten seine Lehrtätigkeit. Sein Unterricht war damit eine nahezu ideale Grundlage für die künstlerische Entwicklung junger Akademiker wie Georg Oehme oder auch Paul Wilhelm.
Zwintschers Lehre hatte zwar keine unmittelbar schulbildende Wirkung, doch waren seine Leistungen in der Malerei für viele junge Künstler von Bedeutung, die sich in den 1920er Jahre einer Neuen Sachlichkeit zuwandten.
Vielfältig sind die Beziehungen Oskar Zwintschers zum Künstlerdorf Worpswede. Paula Modersohn-Becker kannte ihn seit spätestens 1900, Heinrich Vogeler war mit ihm wohl bereits seit 1897/98 befreundet.
Zwintscher wiederum reiste im Frühjahr 1902 in den Ort nahe Bremen, um die junge Ehefrau des Dichters Rainer Maria Rilke, Clara Westhoff, auf dessen Einladung hin zu proträtieren. Bildnisse von Rilke und Vogeler malte er ebenso. Zu einem gegenseitigen künstlerischen Einfluss ist es zwar nicht gekommen; dennoch wurde seine Malerei von den Worpswedern sehr geschätzt, insbesondere von der weitaus expressiver malenden Paula Modersohn-Becker.
Satire- und Witzblätter hatten Hochkonjunktur in der Zeit um 1900. In München, damals einer der bedeutendsten und liberalsten Kunstschauplätze im Deutschen Reich, florierten illustrierte Zeitschriften wie „Simplicissimus“, „Fliegende Blätter“ und ab 1888/90 auch „Meggendorfer’s humoristische Blätter“. Zu den Mitarbeitenden, die dem Verlag ausgeführte Vorlagen lieferten, zählten u.a. Koloman Moser aus Wien, Matilde Ade und von 1895 an — als einer der produktivsten und eigenständigsten Künstler — Oskar Zwintscher. Seine Inventionen sind von starker Linienbetonung im Sinne des Art Nouveau gekennzeichnet, die auf jüngere Künstler (Otto Dix, George Grosz) gewiss nicht ohne Eindruck blieben.
Adele Zwintscher, die ihrem Mann häufig Modell stand, ist in insgesamt 14 von seinen sehr starken Porträts — teilweise klassisch repräsentativ, teilweise allegorisch anklingend — wiederzufinden und stellt somit eine zentrale Quelle seiner Inspiration dar.